Kanzelrede Reformationsfest 2017, Kreuzkirche Tittling
Dr. Petra Grond, Passau
am 31.10.2017

 
 
„Gnad und Fried von Gott dem Vater unseres lieben Herrn Jesu Christi!
Freundliche, liebe Schwestern und Brüder!

Ihr wollt von mir, Katharina von Bora, Doktor Martin Luthers nachgelassener Wittfrau,  hören, wie er denn so war, mein Martin. So habe ich ihn natürlich nur bei mir genannt – er wollte ja selbst von mir immer mit „Herr Doktor“ angesprochen werden.
Nun, er war ein lieber und teurer Mann, mein lieber Herr, der nicht allein einer Stadt oder einem einzigen Land, sondern der ganzen Welt viel gedient hat.

Das hat ihn am Ende gar auch das Leben gekostet, denn obwohl ich bettelte und ihn bat, in seinem angeschlagenen Zustand und bei Eis und Schnee nicht nach Eisleben zu fahren, um den Grafen von Mansfeld wieder einmal bei einem Erbstreit zu helfen, machte er sich auf den beschwerlichen Weg. Das hätte er doch mit seinen 62 Jahren nun wirklich nicht mehr auf sich nehmen müssen. Die Reise nahm ihn so mit, dass sein Herz versagte und ich ihn nur noch tot wiedersah.

Aber so war er halt, der Herr Doktor Martinus Luther: starrköpfig, ohne Rücksicht auf Leib und Leben, wenn er von einer Sache überzeugt war.
Das hatte er ja schon 1517 zur Genüge unter Beweis gestellt, als er seine 95 Thesen in Wittenberg zur Disputation stellte.
Da kannte ich ihn freilich noch nicht - ich bereitete mich zu dieser Zeit ja im Kloster Marienthron auf meine Ewige Profess vor. Aber seine Lehre, dass der wahre Schatz der Kirche das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes ist und mit gekauften Ablassbriefen oder dem Pilgern zu Reliquien vor Gott keine Schuld getilgt werden kann, diese Lehre hatte schnell auch unser Kloster in Nimbschen erreicht.
Ebenso wie seine Schrift „Ursache und Verantwortung – warum Jungfrauen in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes das Kloster verlassen können“. Na, ihr könnt euch vorstellen, was das für eine Aufregung in unsere schwesterliche Gemeinschaft gebracht hat – das war ja fast ebenso aufrührerisch wie die Angriffe des Doktors auf die Autorität des Papstes. Gott wolle keine erzwungene Jungfernschaft und ohne Gottes Gnade sei sie nur schwer zu halten. Vielmehr seien wir Frauen zum Kinderaustragen geschaffen.

Wie mir der Doktor Luther damit aus der Seele sprach!

Dass er zwölfen von uns dann persönlich half, dem Klosterleben zu entfliehen und sich in Wittenberg dafür einsetzte, dass wir „mit aller Zucht und Ehre“ unter die Haube kamen, das war schon recht mutig und anständig von ihm. Wobei er reichlich Mühen hatte, für mich einen rechtschaffenen – und mir genehmen – Mann zu finden
bis er mich schlussendlich selbst ehelichte.
Dabei musste ich freilich schon auch selber ein wenig nachhelfen. „Mein Sinn steht der Ehe fern“, hatte er kurz zuvor noch an seinen Freund Spalatin geschrieben. Pah ... da kannte ich meinen Martin wohl besser als er sich selbst. Aber diese Geschichte  ist euch ja sicher hinlänglich bekannt.

Und es muss auch gesagt werden: Nicht immer war der Herr Doktor so stark und mutig. Ist es etwa nicht ein herrlich Geschenk, dass er bei seinem Bibelstudium erkannte, dass nur allein Gottes Gnade und sein heiliges Wort uns erlösen? Dass wir alle schon durch Christi Tod von unseren Sünden und Verfehlungen freigekauft sind, wenn wir nur fest an ihn glauben? Welch großartige Zusage, die uns voller Zuversicht jeden Morgen wieder frisch an unser Tagwerk gehen lässt! Eine wahrhaft frohe Botschaft! Und hat sich nicht oftmals gezeigt, dass der Herr auch krumme Wege ganz unverdient zum rechten Ziel führen kann? Da brauchten wir ja wahrlich nur auf unser eigen' Leben zu blicken!

Doch wenn seine Säfte durcheinandergerieten und der Teufel wieder einmal nach ihm griff – was leider immer wieder geschah – , dann haderte der gelehrte Mann mit unserem Herrgott, verlor sein Vertrauen in all sein mühsam abgerungenes Erkennen und sein ganzes Predigen und Wirken.
Dann musste ich ihn immer wieder schelten und ihn an seine eigenen Vermahnungen erinnern, wie er sie etwa in einem seiner vielen Trostbriefe formuliert hatte: „Du kannst nicht wehren, dass die Vögel über dein Haupt hinfliegen, aber du kannst wehren, dass sie in deinen Haaren nisten“, hatte er dort über trübsinnige Gedanken und Seelenschmerz geschrieben. Ja, er konnte andere wohl trösten und aufrichten und litt doch selber immer wieder Höllenqualen ob vielerlei Anfechtungen von außen wie von innen.
Einen großen Reformator mit einem kleinen Glauben nannte ich ihn einmal, als wir abends in seinem Studierzimmer zusammensaßen und er allzu viel  klagte.

Er mochte es, wenn ich mich abends, wenn unsere Kinderschar – sechs Kinder habe ich ihm geboren, dazu kamen die elf seiner Schwester, die wir nach deren Tod aufnahmen – also, wenn die Kinderschar im Bett war und es still wurde im Haus, da mochte er es, wenn ich mich mit meiner Spindel zu ihm gesellte und er mir seine Ideen vortragen konnte.
Es war eine rare Zweisamkeit, war ich doch allzu häufig bis tief in die Nacht mit der Verwaltung unserer Ländereien und des großen Haushalts beschäftigt, zu dem schließlich auch noch die Herren Studiosi gehören, denen wir nach alter Sitte Kost und Logis bieten. Doch auch ich liebte diese Stunden des ernsthaften Gesprächs, in dem ich ihn so manches harsche Wort über uns Frauen oder den Ehestand zurücknehmen machte.
Nicht alle Frauen genießen ja das Privileg, dass ihre Männer sie an ihrem Tun und Denken teilhaben lassen.

Zumal ja auch kaum eine unter den gewöhnlichen Frauen – und um es deutlich zu sagen: auch unter den Männern – lesen und schreiben kann.
Aber das wird sich ja nun bald ändern, wenn sich die Forderung der Reformatoren überall durchsetzt, dass alle – Frauen wie Männer – lesen und schreiben lernen müssen, um Gottes Wort selbst lesen zu können und recht zu verstehen. Da war ich dem Herrn Doktor mit meiner Kloster-Ausbildung wohl eine gute Gefährtin, denke ich.
Er legte aber auch wert darauf, dass ich selbst die Bibel aufmerksam studiere. Einmal bot er mir sogar 50 Gulden, wenn ich die heilige Schrift bis Ostern vollständig gelesen hätte. Na, ihr könnt euch vorstellen, dass ich mir dieses Geld nicht entgehen ließ.

Und so gefiel es mir wohl, dass mein Gemahl mich bisweilen als „Herr Käthe“ oder seine „Predigerin zu Wittenberg“ titulierte und vor all den klugen Männern an unserem  Tisch sagte, seine Käthe verstehe die Psalmen besser als einst alle Papisten. Er war wohl schon auch ein wenig stolz auf mich, mein Martin. Noch lieber hörte ich es  allerdings, wenn er mich seinen „Morgenstern“ nannte, oder sein „Herzliebchen“.

Es ehrte und freute mich auch sehr, dass er mich vor einigen Jahren schon in seinem Testament als Universalerbin und Vormund für unsere Söhne bestimmte. Denn er vertraute mir, dass ich „ihre Sache nicht zum Nachteil führe“. Doch da war mein lieber Mann seiner Zeit wohl weit voraus. Unser  sächsisches Erbrecht schließt Frauen vom Erbe an Grund und Boden aus und traut ihnen nicht zu, dass sie ihre Kinder zu ordentlichen Menschen erziehen. Und ich habe hart kämpfen müssen, damit der letzte Wille des Herrn Doktor zu seinem – und meinem – Recht kam und wir ohne Vormünder im Schwarzen Kloster wohnen bleiben durften.

Ich teilte das Entsetzen meines Mannes über die blutigen Aufstände der Bauern, die sein Anliegen so gründlich missverstanden hatten.
Gegen den Papst wetterte der Doktor Luther stets und sprach ihm jede Autorität ab, ja nannte ihn gar den „Antichristen“.
Aber sich gegen weltliche Autoritäten auflehnen – das hatte er nie gutgeheißen. Wer sollte denn sonst auch für Ordnung in unserem Gemeinwesen sorgen?

Und ich teilte auch seine Enttäuschung über die Juden, die die Erlösungstat unseres Herrn Jesus nicht anerkennen wollen. Dieser sein Abscheu gewann noch an Wucht, je älter der Doktor wurde.
Und als dann 1542 noch unser Lenchen starb – gerade einmal zwölf Jahre wurde das arme Kind alt – da wurden seine Bitterkeit und seine rüden Worte gegen alle Feinde nur noch beißender. Seine oft allzu scharfen Ausfälle vermochte selbst ich – die ich doch genauso litt wie er –  nicht mehr zu mildern.
Dabei war er in seinem Beharren auf das Wort oder auch der Herabstufung der Muttergottes und der Jungfrauenschaft doch gar nicht so weit entfernt von den Juden. Auch bekümmerte es ihn ebenso wenig wie sie, wie genau es wohl im Jenseits zugehen mag. Manchmal habe ich mich im Stillen gefragt, ob ihn vielleicht gerade diese Nähe ängstigte und er sich in Sorge um seine eigene Lehre gar so heftig gegen den alten Glauben zur Wehr setzen musste? Ich hoffe nur, dass aus seinem Wüten gegen die Juden nicht eines Tages schlimmes Übel erwachsen möge  …
Nein, er war kein Heiliger, der Herr Doktor. Und die Folgen seiner Worte hat er nicht immer recht einzuschätzen gemocht. Egal, ob er eines der Kinder schalt, wenn es allzu lebhaft war oder sein Gebet nicht recht aufsagen konnte. Obwohl er sonst doch der beste aller Väter war, oft mit ihnen musizierte und schöne, fromme Lieder für sie schrieb wie etwa „Vom Himmel hoch, da komm ich her“.

Oder eben auch, als er seine Thesen öffentlich zur Disputation stellte. Nie hätte er zu Beginn doch gedacht, dass seine Kritik am Ablasshandel – oder selbst am Papst – zu einer Spaltung der Kirche führen würde. Nicht spalten wollte er, sondern reformieren. Die Kirche müsse sich immer wieder erneuern, um im Glauben treu und fest zu bleiben. Das war sein Credo.

Aber: Unser Herrgott kann auch auf krummen Linien gerade schreiben. Das mag für seine Kirche vielleicht ebenso gelten wie für uns Menschenkinder.
Wenn Er es will, werden die heute erbitterten Feinde auch wieder zueinander finden. Nun nicht mehr zu Lebzeiten des Doktor Martinus Luther – und wohl auch nicht mehr zu den meinen, zähle ich doch auch schon 47 Jahr'. Aber vielleicht doch in 100 Jahren, oder erst in 500 oder gar noch später? Wer weiß …

In einer seiner Tischreden hat der Doktor einmal gesagt: „Der beste Prediger ist der, von dem man sagen kann, wenn man ihn gehört hat: Das hat er gesagt. Dagegen der schlechteste ist der, von dem mit Wahrheit gesagt wird: Ich weiß nicht, was er gesagt hat.“

Nun, ich hoffe, ihr habt verstanden, was ich gesagt habe. Und so bewahre euch nun unser Herr Jesus.