Evangelisch – Ich bin so frei
Predigt am 30.04.2017

 
 

Liebe Gemeinde!

Und einmal mehr Luther im Jahr des Reformationsjubiläums – auch gleich als Vorbereitung für den Konfi Vorstellungsgodi am nächsten Sonntag ---
Wo und wie unterscheiden sich die Evangelischen von den Katholischen?
Auf diese Frage wird man von zehn PfarrerInnen zehn unterschiedliche Antworten bekommen, so weitläufig und akzentuiert ist dieses Themengebiet besetzt.
Ein wesentlicher Unterschied liegt für mich in der Frage nach der Autorität in Glaubensfragen und Entscheidungsmomenten.
Hier haben es unsere katholischen Glaubensbrüder leicht und schwer zugleich – denn es gibt für fast alle zentralen Fragen des Glaubens Enzykliken und Dogmen, die im Vatikan im Laufe der Jahrhunderte behandelt, durchdacht und festgelegt wurden.
Der evangelische Christ hat es hier schwerer und leichter zugleich: Denn es gibt keinen Rückzug auf eine autoritäre und unfehlbare theologische Größe, die die Heilige Schrift allgültig auslegt.
Anstelle von Enzykliken und Dogmen treten in der evangelischen Glaubenslehre und Ethik zwei ganz andere Kategorien auf den Plan: das Gewissen und die Freiheit.
Im Jahr 1520 erscheinen 3 wesentliche Schriften Martin Luthers. In ihnen setzt er sich mit zentralen Fragen der Kirche und des christlichen Glaubens auseinander. Innerhalb kurzer Zeit sind die sog. reformatorischen Flugschriften in ganz Deutschland verbreitet, weil Luther die Fragen und Zweifel vieler Menschen darin aufgenommen hat.

  • Wer hat das letzte Wort bei der Auslegung der Bibel?
  • Müssen wir Gutes tun, um Gott zu gefallen?
  • Wodurch wird ein Mensch frei?
  • Sind Geistliche (Bischöfe, Priester, Mönche) bessere Christen?
  • Brauchen wir Geistliche oder Heilige, um mit Gott in Verbindung kommen zu können?
  • Was geschieht beim Abendmahl? Wer darf daran teilnehmen?
  • Wem muss ein gläubiger Mensch gehorchen? Dem Papst? Dem Bischof? Dem Kaiser? Den Fürsten?

„Vor allem muss ich die Siebenzahl der Sakramente ablehnen. Das ganze Sakrament des Brotes -auch der Kelch - ist den „Laien“ zu reichen. Nur Taufe und das Brotbrechen sind Sakramente, denn sie sind nach der Heiligen Schrift von Christus gestiftete Zeichen und sie verheißen die Vergebung der Sünden. Sonstige „Sakramente“ sind, da sie nicht mit wirklichen Zeichen verbunden sind, einfache Verheißungen.“
Nach: Die babylonische Gefangenschaft der Kirche
 
„Alle Christen sind geistlichen Standes. Unter ihnen ist kein Unterschied, es sei denn wegen eines Amtes. Alle sind wahrhaftige Priester, Bischöfe und Päpste. Das macht, dass alle eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben haben.
Nicht nur der Papst kann die Bibel richtig auslegen …“
Nach: An den christlichen Adel deutscher Nation
 
 „Ein Christenmensch ist (durch den Glauben) ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist (wegen der Liebe) ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ Die Obrigkeit kann nur regeln, was den „äußeren Menschen“ betrifft. Innerlich ist der Mensch frei und niemand außer Gott untertan. Wen der Herr freimacht, der ist frei, unabhängig von den äußeren Lebensbedingungen.“
Nach: Von der Freiheit eines Christenmenschen
Und die dritte Schrift ist das lesenswerte Büchlein „Von der Freiheit eines Christenmenschen“
Scheinbar paradox formuliert Martin Luther die zwei Spitzensätze, die als Pol und Antipol fungieren:

  •  „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“
  • „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“

"Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemand untertan."
 Der Christ - ein freier Mensch. In Sachen des Glaubens und des Gewissens niemandem untertan, nicht Kurfürst, nicht Kaiser, nicht Papst, nicht Kirche, nicht irgendeiner anderen Autorität - wie er es selbst auf dem Reichstag zu Worms 1521 demonstriert hat. Das klingt wie Freiherr und Freifrau, es klingt nach Adel, und in der Tat ist jeder Christenmensch geadelt. Obwohl er aus krummem Holz geschnitzt ist, geht er den Gang des Aufrechten, aufgerichtet von Gott. Der Ruf der Freiheit ist fortan mit der Reformation verbunden.
"Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan." Das klingt wie das genaue Gegenteil und ist doch die logische Folge. Aus der Befreiung des einzelnen folgt die Zuwendung zum andern.
Am Ende seiner Freiheitsschrift hat Luther diesen Zusammenhang so ausgedrückt: Aus dem allen ergibt sich, "daß ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und in dem Nächsten; in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und in göttlicher Liebe."

Evangelisch – ich bin so frei.

Aber wie frei war Luther selber? War Luther ein freier Vogel?
Luther hatte Angst vor seinem Vater – zunächst war er nicht frei, seinem Wunsch, Theologie zu studieren zu folgen. Da half ihm das Gelübde bei Donner und Gewitter bei Stotternheim.
Luther hatte Angst vor Gott – wie bekomme ich einen gnädigen Gott? war seine zentrale Frage.
Luther- gefangen in seinen Ängsten –und gefangen in den Ansprüchen von anderen und sich selbst.
Und dann die große Wende – Nach 1517 hat Luthers nichts mehr zu verlieren – und er verliert seine Ängste.
Als er beim Reichstag zu Worms Stellung nehmen muss, ist er so frei zu sagen: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.
Danach wird Luther „vogelfrei“ erklärt, jeder kann ihn fangen, schlagen, umbringen.
Sein Kurfürst Heinrich von Sachsen bringt ihn quasi in Schutzhaft.
Falscher Name, Falsche Geschichte, Falsche Identität, gefangen, geparkt auf der Wartburg – ist er so frei und übersetzt als erster das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche.
Und vier Jahre später ist er so frei, dass er als Professor und Theologe heiratet.
Aus dem von Ängsten besetzten >Martin Luder wird im Laufe seines Lebens eine befreite und befreiende Persönlichkeit: Martin Luther.
Und dieses reformatorische Freiheitsverständnis prägt uns Evangelische, uns Protestanten bis heute.
Evangelisch – ich bin so frei – wie ein freier Herr und niemand untertan - also sehr souverän und selbstbewusst.
Evangelisch – ich bin so frei – wie ein dienstbarer Knecht kann ich demütig und selbstbewusst auf die Knie gehen und mich klein machen, wie sich auch Gott in der Geburt seines Sohnes Jesus im Stall von Betlehem sehr klein gemacht hat.