Predigt am 11. September 2016

 
 

Der starke Trost -  II. Tim. 1,7

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Liebe Gemeinde!

  1. Biographische Erinnerungen an den 11.09.2001

 

Heute vor 15 Jahren war ich gerade in einer Dienstbesprechung im Dekanat in Passau.
Dekan Walter Schmidt leitete die Sitzung in seinem Büro.
Die Pfarrerkollegen Kley, Martin und Schmoll saßen um mich herum.
Gerade stellte ich das Konzept für den Ausflug des Mitarbeiterdanktages vor – ich hatte etwas von einem Kaffeekannenmuseum im südlichen Bayerischen Wald gehört und dies als Ziel vorgeschlagen.
Plötzlich kam die Frau von Walter Schmidt, Christl Schmidt ins Besprechungszimmer hereingestürzt und hat gesagt: „ Es ist etwas ganz Schreckliches passiert. Flieger sind in den Twin Tower geflogen.“
Ich verstand nur Bahnhof.
Wir unterbrachen unsere Besprechung und gingen zu den Schmidts ins Wohnzimmer einen Stockwerk höher. Der Fernseher lief. Es liefen gespenstische Bilder. Zwei Flugzeuge flogen zielgerichtet in zwei Hochhäuser in New York.  Diese Hochhäuser stürzten wie ein Kartenhaus zusammen. Es staubte über die Maßen.
„ Dahinter könnte die IS stecken“ mutmaßte Kollege Kley.
Noch nie hatte ich bis dato etwas von IS gehört.

  1. Erinnerung ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit.

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Am 11.September 2001 flogen nacheinander zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers, die daraufhin einstürzten und mehr als 2800 Menschen mit in den Tod rissen.
Es ist richtig und notwendig irgendwann wieder zur Tagesordnung zurück zu kehren. Die Menschen in New York waren die ersten, die damit angefangen haben. Aber, der jährliche Gedenktag und die Erinnerung sind wichtig.

Ich möchte heute ganz bewusst die Ohnmacht und Angst des 11. September spüren, um wie vor 15 Jahren zu fragen, was in meinem Leben wichtig, wertvoll und unzerstörbar ist. Ich möchte die Wut und die Trauer des 11. September spüren, um sensibel zu werden für Unrecht in meinem Leben und um mich herum.
Ich möchte an die Gebetsgemeinschaft erinnern, wie am 11. September und danach, in der überall auf der Welt Menschen Trost und Halt bei Gott gesucht haben. We pray for New York. We pray for Paris. We pray for Brüssel.
Die Erinnerung an Schreckliches ist unbequem und anstrengend, aber lebens- not-wendig.
Mehr als 2800 Menschen sind am 11 September unter den Trümmern des World Trade Centers gestorben. Das ist schrecklich und schlimm. Es hätten aber noch ein paar Hundert oder sogar Tausend mehr sein können, wenn nicht einzelne Menschen ihr Leben riskiert hätten, um andere zu retten.
Ich denke an die vielen Feuerwehrleute und Polizisten. Ich denke an viele Lehrerinnen und Lehrer in angrenzenden Schulen. Ich werde nie den Bericht über einen Mann vergessen, der eine behinderte Frau auf seinen Schultern dreißig Stockwerke hinuntergetragen hat. Keiner von denen kannte das Ausmaß der Gefahr wirklich, alle haben ihr eigenes Leben riskiert und viele haben es im Dienst für andere verloren. Zivilcourage nennt man das mit einem schon fast abgegriffenen Wort.
Manche behaupten, wenn jeder für sich selber sorgen würde, wären ja alle versorgt. Sie übersehen dabei aber, dass nicht alle Menschen für sich selber sorgen können. Couragiert leben kann man nur mit einer Überzeugung. Wer davon überzeugt ist, dass alle Menschen wertvoll und wichtig sind, wird sich einsetzen und Unrecht bekämpfen wollen. Wer davon überzeugt ist, dass jede Form des Lebens schützenswert ist, wird sich auch dann engagieren, wenn er nichts dafür bekommt, oder sogar selbst in Schwierigkeiten gerät. Christen nennen die Grundhaltung, die dahinter steckt die goldene Regel. Die geht so: Tu für andere das, was du auch von ihnen erwarten würdest.

  1. Jeder hat sein Kreuz zu tragen

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Der hat aber ein schweres Kreuz zu tragen. So spricht man von jemandem, der besonders leidet oder mit seinem Leben große Schwierigkeiten hat. Das Kreuz erscheint als Symbol für Leiden und Schmerz, Trauer und Ohnmacht. Nicht jedem, der einen Modeschmuckartikel in Kreuzform trägt, ist das bewusst.
In der Kirche wird das Kreuz besonders verehrt. Viele Christen erinnern sich beim Anblick des Kreuzes daran, dass für Jesus der Tod nicht das Ende war. Das Kreuz erinnert sie auch an die Zusage Jesu, ganz besonders in den schweren Zeiten des Lebens bei ihnen zu sein. Viele Menschen haben am Ground Zero, dem Ort des Grauens mitten in New York Kreuze aufgestellt. Stumme Botschafter eines Glaubens, der sich gegen das Leiden und den Tod stemmen will. Stumme Mahner an alle Menschen, ihre Konflikte und Probleme gewaltfrei auszutragen. Stumme Zeugen der vielen Menschen, die Ground Zero im vergangenen Jahr besucht haben. Millionenfach haben sie geschwiegen, getrauert, gebetet.
Viele werden mit dem festen Vorsatz dort weggegangen sein, sich für Versöhnung und Frieden einzusetzen. Mancher wird über eigenen Konflikte und die Suche nach Lösungen nachgedacht haben.
Unser Leben wird oft durchkreuzt durch unerwartete Ereignisse, die uns aus dem Rhythmus bringen. Als Zeichen des Glaubens hilft das Kreuz, trotzdem weiterzuleben und die Hoffnung nicht zu verlieren.

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

  1. Der Blick nach vorne und die Endlichkeit

Vor fünf Jahren wurde in New York die Nationale Gedenkstätte für die Opfer des 11. Septembers (National 9/11 Memorial) feierlich eröffnet. Wo vormals auf dem Ground Zero die beiden eingestürzten Türme standen, sind nun zwei quadratische Ausschachtungen gesetzt, an deren Rändern Wasser in zweistufigen Kaskaden in die Tiefe stürzt. Der Titel dieses Monuments heißt „Reflektierende Abwesenheit (Reflecting Absence)“. Im Wasserfluss wird das Fehlen der Gebäude und der verstorbenen Menschen reflektiert. Die quadratischen Becken sind umbrüstet und können von den Besuchern abgegangen werden. Auf den Brüstungen finden sich die Namen der Opfer in Bronzeplatten eingraviert, sortiert nach dem Unglücksort – fast 3000 Namen sind da versammelt.

Ja, das scheint angesagt zu sein: Auch 15 Jahre danach den Toten zu gedenken und ihre Namen nicht zu vergessen.