Matthäus 26, 6-13
„Als nun Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen, trat zu ihm eine Frau, die hatte ein Glas mit kostbarem Salböl und goss es auf sein Haupt, als er zu Tisch saß. Als das die Jünger sahen, wurden sie unwillig und sprachen: Wozu diese Vergeudung? Es hätte teuer verkauft und das Geld den Armen gegeben werden können. Als Jesus das merkte, sprach er zu ihnen: Was betrübt ihr die Frau? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit. Dass sie das Öl auf meinen Leib gegossen hat, das hat sie für mein Begräbnis getan. Wahrlich, ich sage euch: Wo dies Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“
Liebe ökumenische Gemeinde,
wir feiern heute den Gottesdienst für die Woche für das Leben.
Und wir beschäftigen uns dabei mit dem Sterben.
„In Würde sterben“ ist 2015 das Thema für diese besondere Woche.
Die Würde steht dabei in der Mitte der drei Wörter.
Und die Würde steht ganz am Anfang, gleichsam als Überschrift und Anspruch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In Artikel 1, Absatz eins steht:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Die Würde gehört zum Leben gehört und wenn das Sterben zum Leben gehört, dann gehört die Würde auch zum Sterben.
„In Würde sterben“ muss also gleichzeitig ein staatliches und ein kirchliches Anliegen in der Bundesrepublik Deutschland sein.
Aber ist dieser Anspruch „ In Würde sterben“ auch die Wirklichkeit ?
Sterben macht Angst. Vielleicht ist es die Endgültigkeit, die uns solche Angst macht. Oder die Möglichkeit, dass wir beim Sterben leiden. Oder der Abbruch der Beziehungen, den wir mit dem Sterben verbinden. Wir sind weg, wenn wir sterben. Oder wir erleben, wie einer, der uns lieb ist, einfach weg ist; nicht mehr greifbar, nicht mehr berührbar, sondern unwiederbringbar weg ist.
Diese Angst vorm Sterben – vor dem eigenen und vor dem Sterben der Liebesten - beschreibt die jüdische Dichterin Mascha Kaleko in ihrem Gedicht :
Memento
Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang,
nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang
und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr -
und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: Den eignen Tod, den stirbt man nur;
doch mit dem Tod der anderen muss man leben.
Doch wie leben in unserer Gesellschaft mit dem Tod?
In einer Zeit, in der viele Menschen – wie seit eh und je - sich wünschen
„Zu Hause zu sterben“ und in einer Zeit, in der die Palliativ Station überläuft.
In der man schon einen richtig guten Krebs haben muss, um in die privilegierte Palliativ Station zu kommen. Und auch dann kann man da nicht lange bleiben, denn diese Station ist teuer und begehrt.
Freilich auch, wenn ein Angehöriger zu Hause stirbt, wird der Leichnam oftmals so schnell wie möglich aus dem Haus gebracht. Totenwache, Aussegnung, Abschied am Totenbett sind die Ausnahme geworden, kaum eingeübt.
Schon komisch, in einer Zeit, in der es so viele Tatort- Tote gibt wie noch nie zuvor,
in einer Zeit, in der unsere Kinder und Kindeskinder regelmäßig am PC töten und getötet werden, hat der Tod keinen natürlichen Platz in der Gesellschaft.
Und doch:
Der Tod verursacht Trauer und manchmal auch Schrecken, egal wo er auftritt. Das ist heute so und das war früher wahrscheinlich auch nicht anders.
Vielleicht war es schon immer so, dass die Frauen bewusster mit dem Tod und dem Prozess des Sterbens umgehen konnten als die Männer; ich zumindest sehe in der Sterbebegleitung deutlich häufiger die Ehefrauen, Schwiegertöchter und Töchter und Enkeltöchter als die männlichen Vertreter.
Warum dies so ist, dazu habe ich Vermutungen, aber das würde den Rahmen hier sprengen.
Das freilich war schon zu Zeiten der Bibel so.
Die Männer Jesu, seine Jünger können mit der Aussicht, dass Jesus Leid und Tod widerfahren wird, nicht umgehen. Als Jesus tatsächlich festgenommen wird, verleugnet Petrus ihn. Und als er stirbt, laufen die Jünger weg. Nur einer bleibt ihm unter dem Kreuz: der Jünger, den er liebte.
Umso erstaunlicher ist die Geschichte von der Salbung in Betanien. Es ist das erste Mal in den Berichten über Jesu Worte und sein Wirken, dass jemand versteht, was mit Jesus passieren wird. Dass jemand die Aussicht auf das Leiden aushält. Dass jemand mit dem Tod umgehen kann. Es ist eine Frau, ein "Jüngerin", wie man vielleicht sagen kann, die mit einem liebevollen, ja zärtlichen Ritual sichtbar macht, dass sie auch im Leiden und im Tod an Jesu Seite ist. Es sind die Frauen, die dann später tatsächlich am Kreuz bei Jesus sind, als er stirbt, die am Ostermorgen zum Grab gehen, und die dort die ungeheure Botschaft von Jesu Auferstehung hören.
Die Frau bringt ein Glas mit kostbarem Salböl mit und gießt es auf Jesu Haupt. Die Jünger protestieren: "Wozu diese Vergeudung? Es hätte teuer verkauft und das Geld den Armen gegeben werden können." Es ist Jesus selbst, der den Verstehenshorizont für das öffnet, was da passiert. "Dass sie das Öl auf meinen Leib gegossen hat, das hat sie für mein Begräbnis getan."
Und er genießt die Fürsorge die ihm zukommt. Wie ich aus meiner seelsorgerliche Praxis sagen kann, dass Menschen beim Ausatmen des Lebens Vieles genießen, dankbar aufnehmen:
Den Besuch, das Streicheln, das sanfte Erzählen alter und neuer Geschichten, einfach das Dasein und Zeit haben ihrer Lieben. Wenn ich nach der Würde beim Sterben gefragt werden würde, wären dies elementare Bausteine:
Der Besuch der Nächsten, das Streicheln, das sanfte Erzählen alter und neuer Geschichten, einfach das Dasein und Zeit haben der Lieben. Zeichen der Aufmerksamkeit und Wertschätzung.
Zur Würde gehört darüber hinaus ein ruhiges Umfeld und eine gute /schmerz-medizinische Versorgung.
Diese Geschichte von der Salbung in Betanien spricht mitten hinein in unsere heutige Welt, in der wir so sprachlos gegenüber dem Tod geworden sind.
Welche Kraft hat genau inmitten dieser Gefühlslage die zeichenhafte Aktion der Frau. Man kann die Liebe, die Dichte der Beziehung, die Tiefe der Verbindung, die zwischen der Frau und Jesus besteht, noch heute durch diesen fast zwei Jahrtausende alten Text spüren. Und man kann spüren, dass diese Tiefe der Beziehung etwas ist, was durch Leid und Tod gerade nicht aufgehoben, sondern, im Gegenteil, bekräftigt wird.
Und auch das kann ich aus meiner pastoralen Praxis zum Thema „In Würde sterben“ beitragen:
Es ist für die liebenden Angehörigen eine schwere, eine anstrengende und eine intensive, aber unvergessene Zeit, die als wertvolle und bereichernde Zeit in der eigenen Seele erfahren werden kann, wenn sie es schaffen, nahe dran zu sein und sich für die Würde des Gehenden einsetzen können.
Wenn wir in diesen Tagen in der "Woche für das Leben" über "Sterben in Würde" nachdenken, dann ist das vielleicht das Wichtigste: dass wir eine Kultur des Sterbens entwickeln, die nicht länger von der Angst geleitet ist, sondern in der die Liebe Raum gewinnt.
Eine Kultur, in der Sterben nicht mehr der Abbruch von Beziehung, sondern die Erfüllung und Verwandlung von Beziehung ist.
Eine Kultur, in der über dem Schmerz und Trauer über den Abschied nie die Hoffnung von offener Zukunft und neuem Leben verloren geht.
In Würde sterben heißt, nie aus der Beziehung zu Gott und den Menschen herauszufallen. Das ist keine Theorie. Wer persönlich oder im Amt der Seelsorge Menschen am Lebensende begleitet hat, weiß die Geschichten zu erzählen von dem Frieden, in dem Menschen sterben können, wenn sie liebevoll begleitet werden, wenn für Sie und mit Ihnen gebetet und gesungen wird, wenn Abendmahl gefeiert wird, so dies möglich ist. In Würde sterben heißt, in vollem Bewusstsein und mit Dankbarkeit dieses irdische Lleben hier loszulassen und zu verabschieden – und für den Christenmenschen, sich auf das neue und unbekannte Land vorzubereiten, in das die Reise geht. (Handgeste)
„Dies ist das Ende, der Anfang eines neuen Lebens“, hat Dietrich Bonhoeffer den Gefangenen zugerufen, als er Anfang April 1945 im Schulhaus in Schönberg abgeholt wurde.
Das alles ist für mich Sterben in Würde!
Und noch etwas sagt uns diese Geschichte, das aktueller nicht sein könnte. Der Protest der Jünger gegen die Handlung der Frau speist sich aus Überlegungen, die uns heute sehr bekannt vorkommen. Die Jünger sagen: "Wozu diese Vergeudung? Es hätte teuer verkauft und das Geld den Armen gegeben werden können."
Warum diese teuren Tage auf der Palliativ Station ?
Warum bekommen die pflegenden Angehörigen ein paar Tage frei für die Sterbebegleitung der Liebsten?
Warum noch die teuren Medikamente, wenn der Tod eh nicht aufzuhalten ist ?
Kosten – Nutzen Analysen der Krankenkassen und Krankenhäuser -
Nutzenabwägungen haben immer einen gewissen Platz, wenn es um die Verteilung knapper Ressourcen geht. Und so mancher fragt sich beim Hören oder Lesen dieser Geschichte vielleicht auch, ob die Jünger nicht Recht haben.
Aber Nutzenerwägungen haben eben Grenzen. Es ist für unsere Diskussionen um den Umgang mit dem Sterben heute schon bemerkenswert, wo diese biblische Geschichte die Grenze markiert: die liebevolle Begleitung von Menschen, die auf den Tod zugehen, ist nicht aufrechenbar gegen einen noch so hohen anderen Zweck.
"Was betrübt ihr die Frau?" - sagt Jesus. "Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit." Auch heute begegnen wir Christus in den Sterbenden. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht - sagt Christus im Gleichnis vom Weltgericht. Und wir dürfen ihn durchaus darin noch konkreter hören: ich bin ein Sterbender gewesen und ihr habt mich begleitet.
Solche Christusnähe in den geringsten seiner Brüder und Schwestern ist etwas, was sich aller Zweckerwägung entzieht.
Deswegen geht es nicht nur um haushaltstechnische Verteilungsprozesse, wenn im politischen Berlin jetzt über neue Gesetze für den Umgang mit dem Lebensende diskutiert wird.
An der Frage, ob es uns endlich gelingt, die Finanzierung der Pflege so auszustatten, dass Pflegekräfte Kranke und Sterbende wirklich liebevoll begleiten können, entscheidet sich, ob wir die Berufung auf das Christliche in unserer Kultur nur vor uns hertragen oder ob wir es wirklich zum Orientierungsmaßstab für unser Handeln machen.
Jeder Mensch, der jetzt lebt, muss sich, wenn er stirbt, auf eine Pflege und Begleitung verlassen können, die ihm die Angst vor unwürdigen Umständen am Lebensende nimmt. Niemand soll mehr meinen, dass er nur würdig sterben kann wenn er sich das Leben nimmt!
Und hier denke ich z.B. an Gunther Sachs, der Angst vor der Krankheit mit „A.“ hatte und sein Leben selbst beendete; oder den Journalisten Udo Reiter, der am 09. Oktober 2014 sein Leben selbst beendete, bevor er zu viel Pflege von anderen in Anspruch nehmen würde und für seine Haltung von manchen fast heldenhaft bewundert wurde.
Nein, das ist aus meiner Sicht nicht der christliche Ethos, wenn ich Angst habe, nicht mehr alles ganz allein und selbstständig managen zu können.
Von den Schwestern hier im Altenheim St.Marien, die wahrhaft erfahren sind in Bezug auf Sterbebegleitung, habe ich gelernt, dass jeder anders geht.
Übrigens kommt auch jeder Mensch anders auf die Welt.
Vom ersten Augenblick und Atemzug bis zum letzten Augenblick und Atemzug sind wir – theologisch betrachtet – einzigartige und wertvolle Geschöpfe Gottes, Ebenbilder Gottes. Wir kommen aus seiner Hand und gehen in seine Hand.
Und unsere gesellschaftliche und religiöse Aufgabe ist es, am Ende des Lebens dem Gehenden die Rahmenbedingungen zu ermöglichen,
dass er - um Gottes willen - in Würde ausatmen kann,
dass er seine Lebenswanderung als geliebtes Geschöpf Gottes vollenden kann.
Deswegen kämpfen wir auch dafür, dass die Vision, die der diesjährigen Woche für das Leben die Überschrift gegeben hat, Wirklichkeit wird:
"In Würde sterben"!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
AMEN
Thomas Plesch am 23. April 2015
In mancher gedanklicher Anlehnung an Heinrich Bedford- Strohm |