Der barmherzige Samariter
Predigt am 30. August 2015

 
 

Liebe Gemeinde !

Die Geschichte vom barmherzigen Samariter ist die Mustergeschichte für das Gebot „ Liebe deinen Nächsten“!

Sie lässt sich wunderbar Nachspielen und ich denke mit Schmunzeln an ein Anspiel unserer Konfirmanden vor einigen Jahren hier in der Kirche.
Mehr mit Schrecken denke ich auch an ein Anspiel im Rahmen des ökumenischen Kleinkindergottesdienstes oben in der katholischen Unterkirche. Damals hat der Überfallene so laut geschrien, dass einige Kinder das Weinen anfingen und andere Kinder spontan helfen wollten.
Anspielen, nachspielen kann man die Geschichte vom barmherzigen Samariter eindrücklich – an eine eindrückliche Predigt über den barmherzigen Samariter kann ich mich nicht erinnern (auch von mir selber nicht).

Vielleicht kann man diese Geschichte eher spüren und nacherleben als bedenken und bereden.

Dabei steckt diese Geschichte voll mit der entscheidenden Frage:
Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?

Das hiesige Leben ist begrenzt und voll mit Brüchen, Unterbrechungen und Unvollkommenheiten. Wir sind hier also weder im Himmel noch im Paradies.
Aber wie geht der Zugang zum Paradies, zum ewigen Leben, zum Shalom, zum ganzheitlichen Frieden.
„ Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit“ ruft Jesus in der Bergpredigt den zuhörenden Neugierigen zu.

Und wie komme ich in das Reich Gottes?

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt
und deinen Nächsten wie dich selbst.

Das sogenannte Doppelgebot der Liebe – volle Kraft voraus für die Liebe zu Gott und volle Kraft voraus für die Liebe zum Nächsten und für sich selbst.

In einem Nebensatz möchte ich hier einflechten, dass die Liebe zu einem selber durchaus auch sehr wichtig ist und erlaubt sein muss. Losgelöst vom falschen Egoismus oder Narzissmus ist die Sorge für das eigene Wohlbefinden – nach meinen pastoralen Erfahrungen – Schlüssel und Kraftquelle für die Liebe zum Nächsten.

Alexandre Vinet (* 17. Juni 1797 in Ouchy, heute Lausanne; † 4. Mai 1847war ein Schweizer reformierter Theologe und Literaturhistoriker) hat einmal gesagt:
„Die erste Seele, die dir anvertraut ist, ist deine eigene.“
Ja, wir dürfen uns selbst mögen und wertschätzen. Wir dürfen ein gutes Selbstbewusstsein haben, weil wir als Kinder Gottes einzigartig und wertvoll sind.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Vorbilder für praktizierte Nächstenliebe gibt es einige – wie eben Albert Schweitzer, auf dessen Spuren wir im November wandeln werden und der Friedensnobelpreisträger 1954 war.
Eine weitere weltbekannte Persönlichkeit für praktizierte Nächstenliebe ist Mutter Teresa.
Mutter Teresa (*26. August 1910 in Skopje, Mazedonien5. September 1997 in Kalkutta, Indien) war eine Ordensschwester und Missionarin albanischer Herkunft, die die indische Staatsbürgerschaft besaß. Weltweit bekannt wurde sie durch ihren Dienst und ihre Hilfe an Arme, Obdachlose, Kranke und Sterbende, für die sie 1979 den Friedensnobelpreis erhielt.

Für Mutter Teresa und ihr Team war es wichtig, Menschen, die von anderen übersehen wurden oder an den Rand gedrängt wurden, gut und liebevoll zu versorgen. Versorgung statt Entsorgung war das Leitmotto.
Aus der Biographie von Navin Chawla zitiere ich:
Am meisten leiden sie [die Leprakranken] darunter, dass sie von allen gefürchtet werden und dass man sie nirgendwo haben will. Meine Schwestern und ich versuchen, ihnen ein anderes Leben zu ermöglichen, ein zweites Leben sozusagen. Wir haben schon viele Behandlungs- und Rehabilitationszentren in Indien aufgebaut. Dort können sie in Würde arbeiten. Sie müssen nicht betteln. Wir stehen in sehr enger Verbindung mit ihnen und geben ihnen liebevolle Fürsorge. Wir möchten, daß auch diese Menschen sich geliebt fühlen.“
Wir möchten, dass auch diese Menschen sich geliebt fühlen.
Kalkutta ist weit weg und Leprakranke sind erst recht weit weg von unserer Wirklichkeit, von unserer Frage nach dem Nächsten.
Wer sind unsere Nächsten?
Sind es vielleicht sogar die Asylbewerber und Flüchtlinge?
Bis zu 50 Leichen in Schleuser –LKW – so titelte am Freitag die PNP (28.08.15)
Seit gut einem Jahr sind 18 Flüchtlinge im ehemaligen Restaurant Loderhof untergebracht; seit gut 4 Wochen sind ca. 110 Flüchtlinge in der alten Schule Fürstenstein eingezogen; und möglicherweise kommen bald Flüchtlinge in den alten Minimal, ganz in der Nähe unserer Kirche.
Sind Sie dann unsere Nächsten?
Oder sind das Menschen, die unser Wirtschafts- und Sozialsystem ausnutzen? Und wenn es Ihnen bei uns gut geht, werde es dann nicht immer mehr?
Hier ist sicherlich eine Predigt nicht der richtige Platz, diese Fragen differenziert und reflektierend zu beleuchten.
Aber die Frage nach dem Nächsten bleibt.
Aus der Jesusgeschichte vom barmherzigen Samariter können wir lernen, dass der Nächste der ist, der 1. hilfsbedürftig ist und der 2. auf unserem Weg liegt.
Zwei Männer gehen in der Jesuserzählung an dem Verletzten vorbei, von denen man erwartet hätte, dass sie ihm helfen: ein Priester und ein Levit. Beide predigen das Prinzip der Nächstenliebe, beide wissen, worauf es bei Gott ankommt.
Aber sie haben keine Zeit - oder vielleicht kein Herz? Oder keinen Mut ? Oder alles ?
Wenden wir uns der Frage zu, die der Rabbi am Anfang gestellt hat: „Was muss ich tun, dass ich in den Himmel komme?“
Jesus spricht von dem, der geholfen hat, vom barmherzigen Samariter.
Dieser hat einfach die Grenzen überschritten, die zwischen ihm und dem Verletzten am Straßenrand lagen, die Grenzen von Herkunft, Religion und Sprache; er hat in ihm nur den Menschen gesehen, der Hilfe braucht. Und „zufällig“ kommt der Samariter vorbei
Es geht um eine zufällige Situation, in die ein Mensch kommt, ganz unvermittelt und unvorbereitet, dort, wo er gerade unterwegs ist. Und es geht darum, dass er spontan, einfach aus menschlichem Mitgefühl heraus, hilft.
Wer so eine Situation schon einmal erlebt hat, wer schon einmal das Glück hatte, im richtigen Moment das Richtige getan zu haben, spontan jemandem geholfen zu haben, der kennt das gute Gefühl, für einen Augenblick ein Samariter gewesen zu sein.
Das ist für Jesus die Tür zum Himmel, nach der der Schriftgelehrte ihn fragt. Mitgefühl zu haben mit anderen Menschen, mit anderen Lebewesen, und aus diesem Mitgefühl heraus zu handeln.
Mein Nächster ist der Mensch, der meine Hilfe braucht und der so meiner Liebe bedarf – ganz egal ob er nun nah ist, oder weit weg.
Doch wie hilfsbereit sind wir?*
Abschließend möchte ich diese Frage beleuchten mit dem Bericht von einem Experiment, das ich eindrücklich und nachdenklich machend empfinde:
An der Princeton- University wurde die Ethik Jesu einem „Praxistext“ unterzogen.
Das Experiment bestand zunächst darin, dass 40 Studenten des theologischen Seminars verschiedene biblische Texte zum Thema Hilfsbereitschaft besprachen, natürlich auch die Beispielerzählung vom Barmherzigen Samariter.
Danach wurden die Studenten aufgefordert, um eine gute Note zu erzielen, den Unterrichtsstoff einem Lehrer im Nebengebäude zu übermitteln. Dies geschah unter drei unterschiedlichen Aufgabenstellungen mit drei Gruppen:
1.)Erste Gruppe
Den Studenten der ersten Gruppe wurde einzeln gesagt, sie würden im Nachbargebäude dringend erwartet und der Lehrer dort habe nur wenig Zeit.
2.)Zweite Gruppe
Den Studenten der zweiten Gruppe wurde einzeln gesagt,  der Lehrer im anderen Gebäude habe im Augenblick gerade Zeit und erwarte sie; man solle ihn jedoch nicht zu lange warten lassen.
3.)Dritte Gruppe
Den Studenten der dritten Gruppe wurde einzeln gesagt, der Lehrer nebenan sei den ganzen Tag da und sie hätten den ganzen Tag Zeit, um die Informationen zu übermitteln.
Auf dem Weg zum Nebengebäude kam jeder der vierzig Studenten an einem scheinbar Schwerverletzten vorbei, der am Torbogen mit dem Kopf nach unten lag und stöhnte.
Wie nun, liebe Gemeinde, wird dieses Experiment ausgegangen sein und was können wir aus dem Ergebnis für unsere Hilfsbereitschaft lernen?
Das Verhalten der drei Versuchsgruppen war äußerst unterschiedlich:
Je eiliger es die Studenten zu haben meinten, desto weniger Hilfe leisteten sie.
Nur 10 % der ersten Gruppe, jener also, die sich unter Stress und großem Zeitdruck fühlte, leistete Hilfe.
Von der zweiten Gruppe leisteten 45 % Erste Hilfe.
Von der dritten Gruppe, die sich am wenigsten unter Zeitdruck und Stress fühlten, kümmerten sich immerhin 63% um den Verletzten.
Neben anderen Entdeckungen nehme ich aus diesem Experiment mit, dass offensichtlich ein entspanntes Zeitbudget unsere Bereitschaft zu spontanen Hilfsleistungen deutlich erhöht.
Oft meinen wir, keine Zeit zu haben – und dadurch besteht die Gefahr, dass unsere Welt herzloser und liebloser wird:

  1. keine Zeit für die Zuwendung zu Gott
  2. keine Zeit für die Hilfsbreitschaft zu unserem Nächsten
  3. keine Zeit für das Baumeln lassen unserer Seele
  4.  

Nehmen wir uns die Zeit und hören hinein in die Frage, Was wir tun müssen, um das ewige, zeitreiche Leben zu ererben: #
(* aus RU-Werkstatt Oberstufe 12.1 A4)

Der barmherzige Samariter

25 Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?
26 Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?
27 Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst«
28 Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.
29 Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?
30 Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen.
31 Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber.
32 Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber.
33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn;
34 und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.
35 Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme.
36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?
37 Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!
So geht hin und tut desgleichen!
In Gottes Namen – Amen

Thomas Plesch am 30.08.2015