Predigt am Buß- und Bettag
Predigt am 18. November 2015

 
 
Buß- und Bettag 2015, 10.00 Uhr, Tittling, über das 9.Gebot

DU SOLLST NICHT BEGEHREN DEINES NÄCHSTEN HAUS
Liebe Gemeinde !
In den ersten acht Geboten geht es darum, etwas Bestimmtes nicht zu tun;
„Du sollst nicht töten; Du sollst nicht ehebrechen!“
Nun geht es darum, etwas Bestimmtes nicht zu denken: Du sollst nicht begehren, d.h. lass das begehrliche Denken und Wollen keine Macht über dich gewinnen.
Mit dem Gebot »Du sollst nicht begehren...« stößt Gott in eine neue Dimension vor. Es geht nicht um unsere Taten, es geht um unser Denken!
„DU SOLLST NICHT BEGEHREN DEINES NÄCHSTEN HAUS“
In der Auslegung des kleinen Katechismus von 1529 schreibt Martin Luther:
Was ist das?
“Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unserm Nächsten nicht mit List nach seinem Erbe oder Haus trachten und mit einem Schein des Rechtes an uns bringen, sondern ihm dasselbe förderlich und dienlich sein.“
Zwei Wörter in diesem Gebot sind wichtig, und beide zusammen lassen erst den ursprünglichen Sinn des Gebots erkennen. Das eine Wort ist »begehren«, das andere ist: »Nächster«.
1. Begehren
Das Wort „begehren“  im  hebräischen Urtext meint »nicht nur die Regung des Begehrens, sondern schließt den Versuch ein, etwas unrechtmäßig an sich zu bringen.« (M. Noth). Also so viel wie: Ränke schmieden, bis es einem gelingt, sich das anzueignen, was man haben will. Das Gebot legt den Ton also nicht so sehr auf das Begehren, wie auf das Tun, das zu dem Begehren gehört.
- Der Ausdruck »Nächster« ist in diesem Zusammenhang genauso wichtig, weil mit ihm oder besser gegen ihn ein Plan geführt wird. Man versucht die Dinge so zu arrangieren, dass man in der Lage ist, dem Nächsten wegzunehmen, was ihm gehört. Wer aber ist mein Nächster?
Dazu möchte ich auf eine bewegende Geschichte aus dem Alten Testament hinweisen.
Die Geschichte von Naboths Weinberg ist das klassischste Beispiel für die Verbindung zwischen Begehren und Machenschaften. (1. Könige 21).
Der König begehrt den kleinen Weinberg, der an sein Land grenzt. Er bittet Naboth, ihn ihm zu überlassen. Aber Naboth ist ein einfacher, ehrlicher, treuer Jude. Er sagt: »Gott hat ihn mir gegeben, ich kann ihn dir nicht abtreten.« Missmutig und zornig kehrt der König heim. Er wollte etwas haben und hat es nicht bekommen. So legt er sich ins Bett, dreht das Gesicht zur Wand und weigert sich zu essen. Die ganze Sache regt ihn gewaltig auf.
Aber dann kommt Isebel, die böse, heidnische Königin, und sagt zu ihm: »Warum so viel Aufregung um so eine Lappalie. Das Problem kann gelöst werden!« Isebel fängt an zu intrigieren - sie beginnt ihre Machenschaften. Sie schreibt diese Briefe unter Ahabs Namen und mit seinem Siegel und sendet sie zu den Ältesten und Oberen, die mit Naboth in seiner Stadt wohnen. »Leitet ein Gerichtsverfahren gegen Naboth ein und klagt ihn an, er habe Gott und dem König geflucht, und dann lasst ihn steinigen.« Isebel versucht ihren Machenschaften den Anschein des Rechts zu geben. Und natürlich finden sich falsche Zeugen, die gegen Naboth aussagen, der Prozess nimmt seinen Lauf, Naboth wird verurteilt, aus der Stadt geführt und gesteinigt. Triumphierend geht Isebel zu König Ahab und sagt: »Steh auf, nimm den Weinberg in Besitz!«
- Diese Geschichte - nachzulesen in 1. Könige 21 - macht erschreckend deutlich, worum es bei diesem Gebot geht.
Manchmal erlebe ich es in meiner pastoralen Praxis, dass gute Familienbande reißen und zerstört werden, weil jeder das Haus der Eltern wollte. Schon gibt es Streit und Ärger.
Das Verbindende wird durch die Gier nach dem Besitz des Hauses getrennt.
Du sollst nicht begehren deines nächsten Haus, das kann auch ein Stück Erbschleicherei, Erbschieberei und Trickserei sein. Und das obwohl eigentlich jeder erst einmal genug hätte.
Genug ist eben nicht genug, sagt Konstantin Wecker in einem Lied und beschreibt damit die gierige und nimmersatte Seite, die einen Menschen besetzen kann.
2. Der Nächste
- Naboth war dem König ein treuer Untertan und guter Nachbar gewesen. Um ihm den Weinberg wegnehmen zu können, musste er deshalb als Gotteslästerer und Feind des Königs hingestellt werden. Der »Nächste« musste als »Feind« erscheinen. Wenn das gelang, konnte man ihn steinigen lassen und seinen Besitz einnehmen.
- Wir verstehen jetzt sicher besser, wenn die Experten sagen, dass dieses Gebot auf zwei Ebenen zu uns spricht:
- Zunächst warnt es uns davor, krumme Weg zu gehen, um uns etwas anzueignen.
- Und dann wird uns geboten, dafür zu sorgen, dass nicht durch irgendwelche Machenschaften ein Schatten auf den »Nächsten« fällt
3. Das Haus oikos
- Luther sagt in seiner Erklärung, wir sollen »nicht mit List nach seinem Erbe oder Hause stehen noch es mit einem Schein des Rechtes an uns bringen, sondern ihm dasselbe zu behalten förderlich und dienstlich seien.«
»Nicht nach seinem Hause stehen«? - Ist es dann schon eine Sünde, wenn mir das Haus des glücklichen Besitzers von nebenan vorschwebt, wenn ich meines Nächsten Haus auch mir selber wünsche?
In unserer Welt sind ungezählte Millionen und Abermillionen, die eben kein Haus haben oder wenigstens eine Behausung, die diesen Namen verdient. Sie haben kein Haus, sie hausen höchstens, aber in was für Verhältnissen! Und dass sie alle die Häuser derer bitter begehren, die welche haben, das ist dann nur die natürlichste Sache von der Welt.
Gottes Wort meint die Sache mit dem Haus trotz der Buchstäblichkeit der vier Wände und des Daches über dem Kopf im Grunde noch einmal anders und weiter. Hier ist nicht oder nicht nur an ein Gebäude gedacht, das ein Mensch gebaut, gekauft oder geerbt hat. Denn ein Haus im biblischen Sinn ist sehr viel mehr als ein Gebäude. Es ist die Familiengemeinschaft und der Geist, der diese Menschen in diesen vier Wänden prägt. Denn ein Haus wird nicht von Steinen, sondern von Menschen gebildet.
Deshalb gehören der Vers 17 und 18 zusammen und man kann und muss das 9. u. 10. Gebot zusammenfassen. Meines Erachtens könnte man auch nach Haus einen Doppelpunkt setzen. Denn was dann aufgezählt wird, das gehört gewissermaßen zum Haus.
„Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd Vieh und alles, was sein ist.“
Aber darum geht es nächste Jahr - so Gott will und wir leben und wir kommen in den Gottesdienst.
Das 9. und 10. Gebot sind andere Gebote als die ersten acht. Die Gebote tragen die Aufforderung nicht zu begehren.
Begehrlichkeit nach dem, was des anderen ist, zerstört die Gemeinschaft; sie trennt. Weil Gott aber nicht ein Herr der Gräben, sondern der Brücken ist, nicht die Trennung will, sondern Gemeinschaft, darum hat er zum gewichtigen Schluss noch diese Gebote gegeben. Gott sagt ja zur Gemeinschaft und nein zur Trennung und zum Zwiespalt unter Menschen und ganz besonders unter den Gliedern seines Volkes, seiner Gemeinde.
Und nach den Ereignissen des 13. Novembers in Paris bin ich geneigt hinzuzufügen:
Du sollst nicht begehren eine Kultur der Angst und des Terrors. Wir brauchen keine Trennung und keinen Zwiespalt; auch nicht mit den Angehörigen des Islams oder mit Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen.
Wir brauchen eine Kultur des Brückenbauens, des Respekts, des auf einander zu Gehens und mit einander Wachsens.

Thomas Plesch am 17.11.2015
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne.