Predigt am Altjahresabend zum Thema „ Glück“

am 31.12.2014

 

Liebe Gemeinde !
Prediger 2,24 .. „Ist’s nun nicht besser für den Menschen, dass er esse und trinke und seine Seele guter Dinge sei bei seinen Mühen?“
Am Altjahresabend, in den letzten Stunden des Jahres, bietet es sich an, noch einmal persönlich besinnlich zu werden, sich zu besinnen.
Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen über 8.740 Stunden minus 9 1/4 Stunden
Wie war denn dieses Jahr 2014 für mich?
Was hat es mir gebracht an Gutem, an Selbstverständlichem, an Mühsamen, an Zerbrochenem?
Wann und wo hatte ich glückliche Momente?
Gott nahe zu sein ist mein Glück – so lautet für diese 8.740 Stunden im Jahre 2014 die Losung.
Doch mit dem Glück ist es gar nicht so einfach – nicht umsonst stehen lange Reihe mit Büchern aller Art zu Tipps zum Glück haben und glücklich werden in den Regalen der Buchhandlungen.
Es gibt das Wohlfühl-Glück, das Wellness- Glück, das Versorgungsglück, das Gesundheitsglück, das Familienglück, das Liebesglück, den Glücksgriff, das Berufsglück, das Glücksgefühl. Kinderglück. Enkelglück. Glück im Spiel. Glückskind.
Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen… wie war es 2014?
Und wo bin ich heute in meinem Nachdenken über Glück haben und glücklich sein?
Wie habe ich mich lebensphilosophisch, werteethisch in diesem Jahr weiterentwickelt und warum?
Einer der seriöseren und anspruchsvolleren Bücher zum Thema Glück habe ich uns heute mitgebracht.
Friedrich Schorlemmer hat es verfasst. Friedrich Schorlemmer, ein evangelischer Pfarrer und Theologe aus der Lutherstadt Wittenberg, ein Weggefährte von Joachim Gauck; einer aus den Montagsdemonstrationen, der die DDR kritisch sah und auch erkennt, dass nicht alles Gold ist, was glänzt in unserer jetzigen Republik.
Die GIER und das GLÜCK – oder: wir zerstören, wonach wir uns sehnen. Es ist für mich eines der Bücher 2014 –
Ein Buch über das Leben - wie es ist. Und wie es sein könnte. Eine Gesellschaft von Egoisten, getrieben von der Sucht nach Mehr, kann nicht überleben, sagt Friedrich Schorlemmer. Wenn wir unseren Blick nicht weiten, auch auf andere hin, sind wir verloren.
Gier lauert hinter jeder Tür. Sie will das schnelle Glück und sieht den anderen nur als Konkurrenten. Durch Konsum, durch Haben und Besitzen, freilich in einer ewigen Spirale, die keine Zufriedenheit, kein Maß kennt.
Glück: das ist Freude, Vitalität, innere Freiheit und Weite. Gier macht unfähig zum Genießen, sie verengt den Blick und verhärtet das Herz. Gier will haben. Glück will sein. Leben braucht Sinn. Wo wir der Gier verfallen, verhindern wir den Sinn. Schorlemmer zeigt Konsequenzen für den Einzelnen und für unsere Gesellschaft.
Das neunte von den 24 Kapiteln ist überschrieben: Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat und erzählt von paradiesischen, sehnsuchtsvollen Zeiten.
Am Anfang der Bibel wird erzählt, wie Adam und Eva den Garten Eden beglückt bebauen und bewahren. Paradiesische Zustände. Ohne Scham können sie leben in geistig physischer Harmonie. Alles, was sie brauchen ist ihnen gegeben. Und doch: das Idyll ist getrübt – denn es gibt eine Einschränkung. Der eine verführerische Baum in der Mitte des Gartens ist tabu, ist die einzige Ausgrenzung. Dieses Verbot liegt wie ein Schatten über ihrem Glück. Dieser Baum weckt einen Resthunger und lässt den Menschen nicht zur Ruhe kommen. Da gib es etwas, was ich noch nicht habe, obwohl ich alles andere habe. Warum diese Grenze ? Warum verzichten, wenn man alles haben kann?
Es ist nicht ohne Tragik, dass wir den Sinn von Grenzen und Tabus oft erst verstehen, wenn wir sie überschritten oder gebrochen haben.
Und so nehmen die Menschen sich das, was ihnen verwehrt bleiben sollte. Sie eignen sich alles an, indem sie es sich einverleiben. Ernüchtert finden sie sich jenseits des Paradieses in einer rauen Wirklichkeit wieder, so erzählt es die Urgeschichte über die Urmenschen. Die träumende Unschuld aus der Zeit von Eden ist vorbei. Jetzt wissen sie es.
Glück lässt sich nicht vermehren, wenn man alles haben und konsumieren kann.
Und so kritisiert Schorlemmer die Gier als urmenschliche Triebfeder, die es zu kontrollieren gilt. Die Gier , die sich per se unterscheidet von der Sehnsucht, von den Träumen, von Visionen und Zielen. Die Sucht, immer mehr haben zu wollen vergiftet die Sehnsucht.
Denn die Gier könnte wohl eines der Krebsgeschwüre unserer Gesellschaft sein. Gier will nicht nur haben, sie will immer mehr haben. Sie kennt nur das mehr, aber nicht die Befriedigung oder gar die Bescheidenheit. Die Gier schaut auf sich und nicht auf andere und steht damit zum Beispiel zum Gegenentwurf einer – nicht nur christlichen – Verantwortungsethik, wie sie Albert Schweitzer treffend beschreibt:
„ Ich bin leben, das leben will, mitten unter Leben, das leben will.“
Dies ist und bleibt die Alternative: Mit-welt als Mit-fühlen, Mit-Leiden, Mit-Denken, Mit-tun zu begreifen. Lebensfreude als offensive Mit-teilung davon, dass der Mensch Glück gewinnt, indem er mit anderen teilt. Die Liebe teilt, die Sorge teilt. Das Viele teilt, das Wenige teilt. Das Geld teilt, die Zeit teilt. Die Freude teilt, das Leiden teilt.
Oder – wie es Albert Schweitzer ausdrückt: „Mit der Abstumpfung gegen das Mitleiden verlierst du zugleich das Miterleben des Glücks der anderen. Und so wenig das Glück ist, das wir in der Welt erschauen, so ist doch das Miterleben des Glücks um uns herum mit dem Guten, das wir selber schaffen können, das einzige Glück, welches uns das Leben erträglich macht.“ Aus diesen Gedanken heraus kommt Albert Schweitzer zu seinem berühmten Gedanken und Sprichwort: “Das Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt.“ (1875 – 1965 – 50 Jahre !! in 2015)
Zu den Gedanken dieses Buches 2014 passen auch die beglückenden und ermahnenden Gedanken einer der Menschen 2014.
Er war Deutschlands "Überflieger" des Jahres: Alexander Gerst arbeitete sechs Monate lang auf der "Internationalen Raumstation ISS" und umrundete dabei die Erde mehr als 2500 Mal. Mit seinen Fotos von Städten und Landschaften aus dem Weltall begeisterte er im Internet Zehntausende.
Doch nicht jeder Blick aus rund 400 Kilometer Höhe ist angenehm. "Es war schrecklich, die abgeholzten Wälder im Amazonas zu sehen", erzählt der Mann aus Künzelsau (Baden-Württemberg). Es habe ihn "wirklich schockiert", wie viel von der "grünen Lunge" bereits zerstört worden sei.
"Wenn Außerirdische die Umweltzerstörung, Kriege und Ländergrenzen auf unserem Planeten sehen würden, hätte ich wirklich Probleme, denen das zu erklären", meint Gerst.
Nun denn, vom Prediger aus dem Weltall gehen wir hinüber zum Prediger im AT, der das Glück der Gegenwart betont. Das ist der Horizont, in dem sich der Prediger tröstet im Blick auf das, was vergeht. Zufrieden sein im Augenblick.
„Ist’s nun nicht besser für den Menschen, dass er esse und trinke und seine Seele guter Dinge sei bei seinen Mühen?“ Prediger 2,24 und derselbe Prediger predigt weiter: „Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gilt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinen Mühen, das ist eine Gabe Gottes. (Pred. 3, 12-13)
Thomas Plesch am 27.12. 2014  -In enger Zusammenarbeit mit Friedrich Schorlemmer –
Die Gier und das Glück, Freiburg 2014,   S. 48, 51,59, 138

Berthold Brecht
Höchstes Glück ist doch, zu spenden
Denen, die es schwerer haben
Und beschwingt, mit frohen Händen
Auszustreun die schönen Gaben.
Schöner ist doch keine Rose
Als das Antlitz des Beschenkten
Wenn gefüllet sich, o große
Freude, seine Hände senkten.
Nichts macht doch so gänzlich heiter
Als zu helfen allen, allen!
Geb ich, was ich hab, nicht weiter
Kann es mir doch nicht gefallen.