Die Ordnungen Gottes

Predigt am 2. Nov. 2014 um 10.00 Uhr in Tittling

 

Hiob 1, 20-21: "Da stand Hiob auf und zerriss seine Kleider und raufte sein Haupt und fiel auf die Erde und betete an und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt". Herr = Gott (siehe auch "Herr der Lage sein")
In Ruhe sterben – aus eigener Hand  sterben – In Gottes Hand sterben

Liebe Gemeinde !

  • Intro – In Ruhe sterben

Gestern haben viele Menschen Gräber besucht, Allerheiligen. Und Kerzen angezündet. Momente der Ruhe. Gedanken der Erinnerung.
November – der dunkle Monat, der Monat, in dem die Bäume das Laub verlieren, die Zugvögel nach Süden ziehen und die Menschen in unserer Region sich auf den Winter vorbereiten.
November – der Monat, der uns Menschenkindern wie kein anderer Monat uns unsere Vergänglichkeit vor Augen führt. Und wir als Christenmenschen wollen auch nicht wegschauen und wollen die Einheit zwischen Leben und Sterben und Auferstehen, zwischen Karfreitag und Ostern, zwischen Herbst, Winter und Frühjahr bewusst und selbstbewusst wahrnehmen.
Ein Tag, der sagt dem andern,
mein Leben sei ein Wandern
zur großen Ewigkeit.
O Ewigkeit, so schöne,
mein Herz an dich gewöhne
mein Heim ist nicht von dieser Zeit.
Gerhard Tersteegen (1697 - 1769), eigentlich Gerrit ter Steege, deutscher evangelischer Mystiker

Jedes Abendglockenläuten erinnert uns an das Geschenk des Tages, des Lebens und an unsere Vergänglichkeit, wenn wir auch noch so jung, so kräftig so zukunftsfähig sein mögen.
Und so wie jedes Kind als wunderbares Geschenk des Schöpfers auf diese Erde kommt, so geht jedes Geschöpf – früher oder später, wenn seine Zeit abgelaufen ist und der letzte Atemzug getan ist. Und darin sehe ich auch eine große Gerechtigkeit, dass jeder, ob arm oder reich, ob wichtig oder kaum beachtet, eines Tages aus diesem Leben abgerufen wird.
Es ist ein Segen und wohl auch eine Lebensaufgabe, in Ruhe loslassen zu können und in Ruhe zu sterben.

  • Aus eigener Hand sterben?

Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt".

So heißt es im Buch Hiob und diese Weisheit gilt seit ca. 2.600 Jahren.
Doch unsere jetzige Zeit bringt zumindest neue Anstöße.
Der Mensch bestimmt zeitlebens so vieles – warum sollte er nicht auch das A und W des Lebens nicht auch bestimmen können.
Das A – das Geborenwerden – der Start ins Leben –
Aktuell sind wir hier bei der gesellschaftspolitischen Frage nach Präimplantationsdiagnostik, nach künstlicher Befruchtung und nach Klonen, bis hin zum „social freezing“, das man aus meiner Sicht durchaus auch unsoziales Einfrieren nennen könnte.
Und W - das Sterben, das Hinausgehen aus dieser Welt.
Um es kurz zu machen: mir gefällt – aus religiösen, theologischen und soziologischen Gründen das öffentliche gemachte Abschiedsgebaren eines Gunter Sachs und eines Udo Reiters nicht.
Am Sonntagabend vor 14 Tagen ( (19.10.14) haben 4,34 Mio. Zuschauer bei der ARD Talkshow „ Günther Jauch“ zugesehen, als es um die Frage nach dem selbstbestimmten Tod und der aktiven Sterbehilfe ging.
In dieser Sendung wurde auch Udo Reiters Abschiedsbrief – fast schon voyeuristisch – verlesen. Hierin begründet der ehemalige Intendant des MDR, dass er nun seit 50 Jahren im Rollstuhl sitzt und eine Kräfte rapide nachlassen.
Auch befürchte er, dass seine geistigen Fähigkeiten nachlassen und er befürchte, dass ihm eine Demenz drohe. Aus einer Schnabeltasse wolle er nie trinken und auf eine Pflegerin wolle er nicht angewiesen sein.
Deswegen hat sich Udo Reiter am 9. Oktober im Alter von 70 Jahren selbst getötet.
Ich kenne Udo Reiter nicht und werde ihn nicht verurteilen.
Aus christlicher Sicht aber möchte ich zu diesem Verhalten Stellung nehmen.

Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt".

Das menschliche Leben, jedes menschliche Leben ist ein Geschenk Gottes.
Und als Geschenk ist es beides - es ist eine Gabe und es ist eine Aufgabe.
Ich kann mein Leben nicht kaufen – es ist ja ein Geschenk – und ich kann es auch nicht verkaufen. Es ist eine Gabe – und zugleich ist es eine Aufgabe. Ich stehe mit dem Geschenk meines Lebens in der Aufgabe vor Gott und den Mitmenschen mit den mir geschenkten Talenten und Begabungen ein Leben zu entwickeln und zu führen, das die Liebe zu Gott, die Liebe zu den Mitmenschen und die Liebe zu mir selbst an die erste Stelle stellt. Das alles noch vor dem tollen Job, dem guten Verdienst, dem großen Auto und was es noch alles geben mag im Wertekanon einer materialistischen Welt.
Udo Reiters Verhalten macht aus dem Hiob Spruch eine menschliche Geschichte -frei übertragen: Der Mensch hat's bekommen, der Mensch hat's genommen; der Name des Menschen sei gelobt. Oder anders formuliert:
„Jeder sollte, jederzeit, über sein Leben und auch übers einen Tod entscheiden“
Für mich ist diese gerade genannte Gedankenhaltung aus christlicher Sicht, nicht in Ordnung. Herkommend von dem Gedanken, dass unser Leben ein unwiederbringbares Geschenk ist und zugleich sowohl Gabe als auch Aufgabe darstellt, kann ich mich nicht zum Herren über Leben und Tod machen.

2.) Aushalten – so lange es geht
Nun sehe ich, -  nicht bei Udo Reiter, nicht bei Gunter Sachs, die ich kritisch als Typen eines  selbstgefälligen Alpha Menschen erfasse -  nun sehe ich also bei Menschen in meiner pastoralen Praxis durchaus den verständlichen Wunsch, dieses Leiden nicht mehr ertragen und aushalten zu wollen.
Ich denke an eine ALS –Patienten, ich denke an Menschen, die lebenssatt und schmerzgebeutelt sind und die ein langes oder längeres Tal der Leiden schon durchwandert sind.
Und genau hier ist für mich der Punkt:
Wenn Menschen aus der Ecke, „schön - reich - sexy „ plötzlich die Angst befällt, sie könnten nicht mehr strahlend in der 1. Reihe stehen und womöglich sogar Hilfe oder Mitleid benötigen, wenn Menschen ohne konkrete Not und nur mit der Angst vor dem „weniger werden“ ihr Leben „selbstbestimmt“ aufgeben oder wegwerfen, dann ist es für mich aus christlicher Sicht nicht in Ordnung.
Wie oft sehe ich es in meiner pastoralen Praxis, dass Menschen in ihrer Hilfsbedürftigkeit plötzlich Liebe und Zuneigung aus einer Ecke erfahren, die sie gar nicht vermutet haben.
Wie tief und bewegend und gewinnbringend, natürlich auch anstrengend und kräftezehrend, erlebe ich oft die Wochen, Monate und Jahre in der Sterbebegleitung- für mich als Seelsorger und viel mehr noch für den Partner, die Kinder und Enkelkinder. Das Sterben, das plötzlich zum Leben gehört und der Prozess des Sterbens, der die Lebenden zum Nachdenken über den Sinn des Lebens anstiftet.
Leiden aushalten ist etwas sehr Menschliches, manchmal sogar Übermensch-liches, wenn nicht sogar Göttliches.
Jesus von Nazareth, ging ans Kreuz, ging so tief in das Leiden, wie es tiefer wohl kaum mehr geht. Er ist nicht weggelaufen.
Er hat nicht zu seinen Jüngern oder den Soldaten gesagt: „Erstecht mich, dann habe ich es hinter mir.“
Noch im Leiden, noch in den letzten Stunden hat er Großartiges und Weitreichendes gesagt, zu den Menschen unter dem Kreuz und den Menschen neben sich am Kreuz.
Nicht, dass ich das Leiden verherrlichen will, aber so wie es Liebe ohne Leiden wohl nicht geben werde, so wird es auch lustvolles, erfülltes Leben ohne Tiefen und angstvolle Herausforderungen nicht geben.
3.In Gottes Hand Sterben

Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt".

In eben jener Talk Show bei Günther Jauch saß auch Franz Müntefering, der frühere SPD Parteivorsitzende, der 2007 sein Amt als Bundesarbeitsminister niederlegte, um seine an Krebs erkrankte Frau zu pflegen. Die Begleitung seiner Frau habe ihm gezeigt, dass auch Sterben gelingen könne.
Begleiten – liebevoll da sein, dem Menschen sein Würde geben, auch wenn er nichts mehr leisten kann – das ist das, was nach dem christlichen Menschenverständnis angesagt ist.
Denn jeder Mensch, auch der kranke und pflegebedürftige Mensch ist „imago dei- Abbild Gottes“; jeder Mensch ist wertvoll, weil er Gottes Geschöpf ist.
Der Mensch bleibt bis zuletzt hungrig nach Liebe, nach Wärme, nach Streicheleinheiten und nach Aufmerksamkeit,
Freilich gilt es, Schmerz und Leiden bei Krankheiten bis zum Tode zu lindern.
Und verantwortungsethisch kann man, nach Absprache mit dem geliebten Angehörigen auf lebensverlängernde, unnatürliche Maßnahmen verzichten.
In Ruhe und ohne zu leiden sterben – geht das?
In Ruhe und ohne leiden geboren werden – geht das?
In Ruhe und ohne zu leiden leben – geht das?
Statt vorschnell auf diese Frage oberflächlich zu antworten, möchte ich bei diesem angstbesetzten, emotionalem Thema vom Vertrauen des Glaubens an die Hand genommen werden und ein Leben lang unterwegs sein, mit der Zuversicht, aus Gottes Hand zu kommen, in seiner Hand geborgen zu sein und darauf getrost zu warten wann und wie er das geschenkte Leben wieder zurücknimmt.

Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt".

Thomas Plesch am 01.11.2014