Predigt zum Gottesdienst
1. So nach Trinitatis 2014
evangelische Kreuzkirche, Tittling
Gottesdienstlektor Christian Ueberham

 
 

Predigttext: 5.Mose 6,4-9
Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.
Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von
ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu
Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen
und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder
unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.
Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand,
und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen
sein,
und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses
und an die Tore.
Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen
Geist. Amen.
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Liebe Mitchristen!
„Ist da jemand“ – das war die Titelseite der Zeitschrift
Spiegel, die ich regelmäßig gerne lese.
Gleich zehn Seiten waren dem Thema „Zukunft der
Religion“ gewidmet. Glaube und Gott, ja sogar glaube ohne
Gott war die Schlagzeige. Ich will auf die Einzelheiten nicht
eingehen, nur so viel. Unsere Welt wird ja zunehmend
säkular, sogar Gläubige hadern oft mit den Kirchen.
Und die Vorstellungen von Gott aus alter Zeit werden
immer mehr wie aus dem Märchen. Tatsächlich ist es
schwer, sich Gott vorzustellen, die Rationalität fordert ihr
Recht – aber – auch das Gefühl. Und niemand will doch in
einer völlig „entzauberten Welt“ leben.
Und.. kann das alles, was wir auch heute an diesem
wunderschönen Tag sehen, nur Zufall sein ?
Der Sternenhimmel, der gestern am längsten Tag des Jahres
ganz besonders glänzte und uns die Säulen der Schöpfung
zeigte. Alles ist doch ein großes Wunder und kann meiner
Ansicht doch nur Gottes Wunder sein.
Aber wie stellen wir uns nun Gott vor? Und wie wollen wir
eine Beziehung zu diesem „Unerklärlichen“ aufbauen?
Einige von Ihnen waren ja schon in Israel und haben es
sicher dort gesehen. In einem Haus, in dem gläubige Juden
wohnen, fällt am Türstock etwas Besonderes auf.
Eine kleine, schön gestaltete Kapsel, schräg an der Wand
angebracht. Die Bezeichnung dafür ist „Mesusa“.
Die Mesusa enthält einen Text: und zwar das „Höre, Israel“,
den Text für unsere Predigt am heutigen Sonntag:
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Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.
Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben
von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner
Kraft.
Diese Worte – das jüdische Grundbekenntnis zum seinen
Gott und die Aufforderung zu umfassender Liebe zu Gott –
diese Worte soll der fromme Jude immer bei sich haben;
sich immer daran erinnern, immer danach leben.
Er soll seinen Kindern davon erzählen und allen Menschen,
egal wo er sich gerade aufhält.
Er soll sie an Hand und Kopf mit sich tragen und an die
Pfosten seines Hauses schreiben. So heißt es.
Viele unserer jüdischen Schwestern und Brüder tun dies bis
heute. Sie befestigen die Mesusa eben am Türpfosten des
Hauses; sie tragen Gebetsriemen an Hand und Kopf;
….und sie erzählen ihren Kindern von Gott.
Wir Christen haben dieses jüdische Grundbekenntnis und
den gesamten heiligen Text der hebräischen Bibel auch
aufgenommen und zwar in der Heiligen Schrift.
Aber wo und wie erinnern w i r uns daran, dass unser ganzes
Leben von der Liebe zu Gott bestimmt ist? Das es Gott gibt,
das er „da“ ist !
Wo sind unsere Merkzeichen für die Liebe zu Gott?
Zeichen für u n s e r e Beziehung zu ihm, zu Gott.
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Merkzeichen gibt es natürlich auch bei uns, freilich in
christlicher Form und Ausgestaltung.
Da ist vielleicht ein Kreuz an einer Kette, auch wenn nicht
jeder, der es um dem Hals hängen hat, dies noch als solches
Merkzeichen wahrnimmt.
Viele schöne und ganz unterschiedliche Kreuze gibt es da.
Die Kreuze / die Kruzifixe in Schulen und z.B. auch in
Gerichtssälen, an Weggabelungen und Hauswänden sollen
auch Hinweise, dass „über
dem alltäglichen Leben“ die Liebe zu Gott steht.
Auch Gebete können und werden zu Merkzeichen für Gott
mitten in unserem alltäglichen Leben.
In Klöstern werden sogar mehrmals täglich Stundengebete
gefeiert.
Das ist nun so nicht jedem möglich.
Aber die Frage, die nun jeder für sich beantworten sollte, –
die Frage ist:
Wie bekommt Gott und m e i n e Liebe zu Gott einen
angemessenen Platz in meinem ganz normalen persönlichen
Leben?
Wo sind unsere, wo sind m e i n e Merkzeichen für Gott, den
Glauben an Gott?
Viele Menschen, ob es nun Christen sind oder ob sie von
anderen Traditionen her kommen, suchen in diesen Zeiten
nach ihrem persönlichen Weg, Glauben und Leben
zusammenzubringen.
Sie wollen schon irgendwie erreichen, das sie Gott lieben
können, und zwar so, wie es zu ihnen passt: Wie es sich echt
anfühlt, authentisch und lebendig.
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Es soll ja keine Schauspielerei sein, kein So-tun-als-ob.
Traditionelle Formen, wie die Gebete der alten Kirche, in
der gelernten Form, können helfen, aber sind halt nicht
jedermanns-Sache. Das Lesen und Meditieren von täglichen
Losungen oder eben zumindest der Sonntags-Gottesdienst
können für manchen von uns sinnvoll und hilfreich sein,
vielleicht aber auch nicht für Jeden.
Sie passen auch nicht in jede persönliche Lebensphase, jede
berufliche Situation. Manche Art von Frömmigkeit ist uns
auch fremd geworden, in unserer modernen Welt.
Aber… Wie kann ich m e i n Leben, wie es ist, und G o t t
zusammenbringen.
Und zwar so, dass sie nicht nur zueinander passen, sondern
einander befruchten, vielleicht korrigieren, auf jeden Fall in
lebendigem Austausch bleiben?
Unser Predigtwort will uns dazu einige Anregungen geben:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben …
von ganzem Herzen.
Das Herz ist für den Hebräer nicht der Sitz der Gefühle, wie
für uns, sondern der des Verstandes. Mit dem Herzen lieben
haben heißt, dass wir Gott im Rahmen unserer alltäglichen
Überlegungen, Planungen, Entscheidungen den nötigen
Raum geben sollen und dürfen. Wir sollen mit ihm rechnen,
ihn nicht draußen halten.
Das ist für uns westliche Europäer ungewohnt: Haben wir
doch gelernt, rationale Entscheidungen zu treffen. Der
Glaube an Gott ist oft eine „andere Sache“ der erst stärker
wirkt, wenn wir an Grenzen stoßen. Vielleicht müssen wir
uns an dieser Stelle korrigieren lassen und Gott mehr
mitwirken lassen.
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Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben …
von ganzer Seele.
Die Seele im Hebräischen ist nicht der unsterbliche Teil des
Menschen, der vom sterblichen Leib unterschieden werden
kann, so wie die Griechen das dachten. Seele im
Hebräischen ist das Person-Sein des Menschen, in seiner
Leiblichkeit, seiner Emotionalität, seiner Ganzheitlichkeit.
Es geht also um die Rolle Gottes für mich als echtes
Lebewesen, so wie ich bin. Liebe zu Gott übe ich als ganzer
Mensch aus, mit meinem ganzen Leben.
Das ist ein Hinweis auf ganzheitliche Spiritualität.
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben … mit
aller Kraft.
Gott und die Liebe zu Gott soll keine Nebensächlichkeit
sein. Etwas, was zu dem, was ich sonst so tue, noch dazu
kommt.
Mit aller Kraft heißt, alles zu geben, alles daran zu hängen,
alles daraufhin auszurichten.
Das heißt aber auch, dass es anstrengend ist und meine
Kräfte fordert.
Das ganze Herz, die ganze Seele, und alle Kraft sind
aufgefordert und herausgefordert.
Der Text will uns sagen: Wir sollen es ernst meinen mit
Gott. – Keine Halbherzigkeiten, keine falschen
Kompromisse, keine Ausreden.
Keine Lebensbereiche, in denen die Liebe zu Gott keine
Rolle spielt. Auch wenn es schwierig ist.
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Es geht also um UNS, unser Herz, unsere Seele, UNSERE
Kraft, unsere Individualität.
Es ist unser Verstand, der sich über die Jahre hinweg
gebildet hat, mit dem, was wir theoretisch gelernt, aber auch
praktisch erfahren haben.
Es ist unser Körper in seiner Ganzheit und mit all den
Narben. Aber auch in seiner Schönheit und dem
beginnenden Verblühen, das halt kommt,
wenn man in die letzten Lebensphasen eintritt.
Und es ist Eure Kraft, die zunimmt, wenn ihr Jugendlichen
erwachsen werdet. Die aber später immer wieder Dämpfer
bekommt, die sich in Schwachheit zeigen und zur
Ohnmacht werden können.
Es ist einzig und allein UNSER Leben, in dem die Liebe zu
Gott Wirklichkeit werden soll und kann.
Aber d i e entscheidende Erkenntnis ist doch:
Es kann keine von außen festgelegte Form sein.
Es gibt keinen vorgegebenen Weg, auch nicht in der Kirche.
Und wir können nicht einfach aus einer fremd gewordenen
Tradition schöpfen und frommes Handeln nachahmen. Mit
Überzeugung, dass es gut ist, zugleich mit Ehrlichkeit und
Offenheit heißt es, sich auf die Suche zu begeben. Auf die
Suche, wie wir dieses Gebot von der Liebe zu Gott von
ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit ganzer Kraft in der
heutigen Zeit und in unserem Leben lebendig werden lassen
können:
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Als von Gott geliebte, ganz eigene, individuelle Kreaturen,
die wir sind.
Der große Theologe Karl Barth hat die Liebe z u Gott darum
mit der Suche nach Gott gleichgesetzt:
Eine interessante Variante, Liebe und Suche zusammen zu
sehen.
Das könnte ein gangbarer Weg sein, die Liebe zu Gott im
alltäglichen Leben lebendig werden zu lassen. In allem, was
wir denken, sagen und tun, die Suche nach Gott
einzuschließen.
Zum Schuss könnten wir uns noch die Frage stellen:
Was sind meine – Ihre – unsere – „Merkzeichen“?
Hat von Ihnen vielleicht jemand einen Vorschlag:
Ein Kreuz an der Halskette, die ich trage, mit den
Spuren meines Lebens, das auf der Suche nach ihm ist.
Ein Bild an der Wand, an dem ich täglich vorbeigehe und
das irgendwie und unverkennbar an Gott erinnert.
Irgend eine Form einer Mesusa an unserer Eingangstür, in
der neben dem „Höre, Israel“ auch meine Erinnerung
geschrieben steht an jene Tage, da unsere Suche nach Gott
erfolgreich war.
Wir haben einen schönen Haussegen neben der Haustüre
hängen, und ein ebenfalls sehr schönes Glaskreuz von
einem Glaser in Spiegelau. Auch gut.
Oder – auch wenn es für uns Evangelische zu katholisch
erscheint, aber eigentlich gut lutherisch wäre–ein kleines
Becken mit Wasser an der Haustür, mit dem man sich im
Vorbeigehen bekreuzigt und an seine Taufe erinnert.
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Sie haben sicher jetzt auch noch andere eigene Ideen.
Vielleicht schaffen wir die Umsetzung die nächsten Tage
oder zumindest Wochen.
Wünschen wir uns dazu Gottes Liebe.
Amen.
Gebet:
Herr, unser Gott,
Du hast uns zuerst geliebt, und nun sollen wir dich auch
lieben.
Stärke Herz und Seele, gib uns Kraft und Willen, dich in
unserem Alltag zu suchen,
und uns so zu üben in der Liebe zu dir.
Vergib uns, wenn wir anderes für wichtiger halten, oder
schwach werden auf unserem Weg.
Danke, dass deine Liebe nicht auf unsere angewiesen ist,
und danke dafür, dass du dich suchen, finden und lieben
lässt.
Amen.