Karfreitag am 29.III.2013 zu Mt. 27, 33.-50
10.00 Tittling  und 15.00 Tiefenbach

 
 

Liebe Gemeinde!

Der Kar Freitag – für unseren christliche Glauben der traurigste Tag in der Geschichte zwischen Gott und Mensch.
Und doch heißt dieser Karfreitag im englischen Sprachgebrauch
„Good Friday – Guter Freitag“.
Was soll daran gut sein, dass der Sohn Gottes wie ein Verbrecher hingerichtet wird?
Was soll daran gut sein, dass Gott seinen eigenen Sohn so unglaublich sterben lässt?
Was soll daran gut sein, dass sogar Jesus dieses Gefühl der Gottverlassenheit spürt, indem er sagt: „Eli Eli lamma asaphtani?“
Was soll daran gut sein, dass Menschen sich gegenüber anderen zum Herr über Leben und Tod aufspielen?

Fragen über Fragen – ich denke an den Menschen, der im Krankenhaus stundenlang auf das Kreuz Christi schaut und mir bei einem Besuch erzählt:
„Das habe ich ihm (sc. Gott) nie verziehen. Wie kann man seinen Sohn so sterben lassen, wenn man der Allmächtige ist.

Karfreitag ist die Zeit der Anfrage.
Wer das Kreuz und wer sich selbst ernst nimmt, der kann über die Tiefen, die Brüche und Traurigkeiten des Lebens nicht hinweggehen.
Der Karfreitag, der Tag in der Geschichte zwischen Gott und Mensch, der die Brüche, das das Unheilsein des Menschen so genau in den Blick nimmt, weil das Unheil für Jesus mit dem Kreuz seinen Lauf nimmt. Jesus stirbt. Er stirbt grausam, qualvoll, unter Schmerzen.
Noch im Sterben wird er verspottet von den Menschen. Seine Kleidung haben sie schon vor dem Tod verteilt. Haben ihn verlacht für seine helfende Lebenshaltung.
Er stirbt einsam:
Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Das Kreuz ist kein Ort besinnlicher Betrachtung.
Das Kreuz ist ein Ort des Grauens.
Ein Ort, der uns in Frage stellt.
„Warum stehst Du nicht auf gegen das ungerechte Leiden?“
Das Kreuz - der Ort der Anfechtung.
Der Ort der  nahezu persönlichen Anklage.
Das Kreuz der persönlichen Entscheidung:
Schau ich hin, schau ich zu, geh ich mit, mit dem Leiden von Jesus Christus, mit dem Leiden in der Welt.
Oder schaue ich weg, renne ich weg, weg vom Kreuz, jenem Ort, wo sich das geballte Unrecht der Welt im unschuldigen Leiden und Sterben von Jesus kulminiert?

Am Kreuz entscheidet sich unser Glaube.
Am Kreuz entscheidet sich die Glaubwürdigkeit unseres Glaubens. Das Kreuz ist das Zeichen, dass ich Gott nicht egal bin – egal, wie verlassen ich mich fühle. Es ist das Zeichen, dass er mein Leben kennt, von der Geburt bis über den Tod hinaus.
Er selbst hat als Mensch, als Sohn Gottes  dieses Leben selbst gelebt, kennt es in allen Höhen und Tiefen, in aller Freude und in der größten Verzweiflung, die wir in unserem Leben auch durchleben.

Und der Tod ist alltäglich.
Mit jedem Sonnenuntergang, mit jedem Abendglockenläuten kommen wir dem Tod einen Tag näher, mit jedem Tag nehmen wir Abschied von etwas, das nie wieder kommt, das fortan zu unserer Vergangenheit gehört.
Mitten im Leben müssen wir immer wieder Abschied nehmen von Absichten, Plänen und Meinungen.
Wir erleiden Trennungen von anderen Menschen und von Lebensabschnitten.
Viele solcher kleinen Tode müssen wir immer wieder neu in unserem Leben sterben, damit Leben überhaupt möglich ist und bleibt. Warum also tun wir uns eigentlich so schwer, das Sterben Jesu als Teil des Lebens anzuerkennen?

II.
Der am Kreuz hängt, ist wahrhaft menschlich, weil er zuhört und hinschaut, weil er einfühlsam und fürsorglich ist, weil er fähig ist zum Mitleiden, weil er versucht zu helfen.
Selbst am Kreuz hat dieser Jesus noch die Größe, auf ein Machtgehabe zu verzichten, oder seine Kraft zu demonstrieren, die Lästerer Lügen zu strafen.
Welche Größe und welche Demut.
Welchen Einfluss hat der Tod Jesus auf unser Leben?
Welchen Wert hat das Kreuz Christi?

„Mein Gott , mein Gott, warum hast du mich verlassen ?“ ruft Jesus am Kreuz, in der unmittelbaren Nähe des Todes, mit den Worten eines Psalms (Ps.22,2).
Aber auch an Jesu Gebet im Garten Gethsemane ist zu erinnern, in dem der Leidende Jesus das kommende Unheil aufziehen sieht und darum bittet, der Kelch möge an ihm vorüberziehen, um dann anzufügen, was auch wir beim Beten anfügen sollten: „Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“
Dass Jesus selbst, der Gottessohn, in der Stunde des Leidens, über die Gottverlassenheit klagt, zeigt, dass er ganz nahe bei den Leidenden ist.
Weil Gott uns aber in diesem Gekreuzigten selbst nahe kommt, ist  Gott  auch bei den Leidenden und hält sich nicht unbeteiligt von ihnen fern.
Der Blick auf den leidenden Christus am Kreuz kann das Zutrauen dazu wachrufen, dass Gott dem menschlichen Leiden nicht gleichgültig zuschaut, sondern dieses Leiden mitleidet.
Gegenüber dem Gottesbild vom unnahbaren Gott über den Wolken ist das eine heilsame Korrektur.
Das christliche Gottesbild folgt nicht dem Prinzip, dass Gott seinem Wesen nach nicht zum Leiden fähig ist.
Von daher ist jenes unglaubliche, unverdiente und auch aus menschlicher Sicht unentschuldbare Ereignis am Kreuz ein Augenöffner für das neutestamentliche Gottesbild.
Gott wird Mensch – das feiern wir an Weihnachten mit der Geburt.
Gott wird Mensch und kennt das Unheilsein des Menschen in der tiefsten Dimension - das können wir am Karfreitag erkennen und miterleben.
Welchen Einfluss hat der Tod Jesus auf unser Leben?
Welchen Wert hat das Kreuz Christi?

Leicht und schnell sind diese Fragen nicht zu beantworten. Es ist wohl eine Lebensaufgabe, sich damit zu beschäftigen.
Entscheidend ist nicht,  diese Fragen zuzulassen, sich ihnen zu stellen, nicht auszuweichen, sie in unseren Alltag zu integrieren:
Weil wir dann die Tiefendimensionen unseres Menschseins nicht mehr verleugnen, weil wir dann anerkennen, dass es mehr gibt, als was wir mit dem Verstand erfassen können.
Weil ich dann zugebe, dass mein Leben auch aus Brüchen besteht.
Unter jedem Dach ein Ach.
Es gibt immer ein größtes Problem.
Keiner lebt hier auf Erden über längere Zeit ohne Brüche, Abschiede Trennungen, Verletzungen.
Hier sehe ich auch einen Augenöffner: Der Karfreitag öffnet uns die Augen, dass das Unheil auf Erden zum Heil werden unbedingt dazu gehört, wie die Nacht zum Tag, wie der Winter zum Sommer, wie der Liebeskummer zur erfüllten Liebe, wie der Prozess der Gesund-werdung zur entdeckten Krankheit.

Die Tiefen des Lebens auszublenden, ist bequem,  wäre aber oberflächlich und gefährlich.
Deshalb ist es gut, dass sich der Glaube an Jesus an einem Kreuz entscheidet. Ein Glaube, der nur oben ist, der trägt auf Dauer nicht, das Kreuz gehört zum Leben mit dazu wie die Niederlagen, wenn ich ein Spiel beginne.
Aus dieser Tiefe heraus, die wir alle aus unseren Leben kennen und in uns haben, aus dieser Tiefe heraus ist das Kreuz vom Symbol eines qualvollen Todes für so viele Generationen zum Symbol für Trost, Hoffnung und Mut geworden, gerade auch in finstersten Zeiten.
Gott geht mit – auch im Leiden.
Die Leidensgeschichte Jesu im NT und das schicksalhafte Leiden des Hiob im AT sind die beiden wichtigsten biblischen Sinnbilder  für den Umgang mit dem Leiden.
Die Frage, wie Gott das Leiden zulassen und dem Unglück Raum geben kann, wird in diesen beiden Sinnbildern nicht theoretisch erörtert, sondern durch die Gewissheit aufgenommen, dass Gott auf die Seite des Leidenden tritt und sich seiner Not annimmt.
Die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens wird dadurch beantwortet, dass Gott selbst das Leiden auf sich nimmt und sich mit dem Leidenden identifiziert.

Und anders als die Jünger damals haben wir es heute leichter: Wir wissen, dass wir nicht am Karfreitag stehen bleiben, wir wissen um Ostern. Inmitten der Hoffnungslosigkeit schimmert uns schon am Kreuz das Licht entgegen; ein Licht, das heller leuchtet als der Tod.
Dass wir das gerade auch in all den Tiefen unseres Lebens immer wieder erleben dürfen und dadurch lernen, sie als einen Teil unseres Lebens anzunehmen, dazu helfe uns Gott.
So gesehen ist der Karfreitag – trotz aller Trauer und trotz tief mit empfundenem Mitleiden mit Jesus Christus untern Strich ein notwendiger, hilfreicher, augenöffnender Freitag – Good Friday!
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle
Vernunft, bewahre unsere Herzen
und Sinne in Christus Jesus .
Amen

Mit dabei: auch Gedanken von Wolfgang Huber: Der christliche Glaube, S. 55ff.