Predigt vom Pfingstsonntag 31.05. von Regionalbischof Dr. Hans Martin Weiss

Predigt über Röm 8,1-11
 
 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Lasst uns in der Stille beten.

Du wertes Licht, gib uns deinen Schein, lehr uns Jesum Christ kennen allein, dass wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland, der uns bracht hat zum rechten Vaterland.
Amen

Als Predigttext lese ich einen Abschnitt aus dem Brief des Paulus an die Römer im 8.Kapitel:

"So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.
Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch,
damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist.
Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt.
Aber fleischlich gesinnt sein, ist der Tod, und geistlich gesinnt sein, ist Leben und Friede.
Denn fleischlich gesinnt sein, ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht.
Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen.
Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.
Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen.
Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt."

1)
Liebe Gemeinde,
"Den Geist dämpft nicht."
So forderte der Apostel Paulus die Gemeinde in Thessaloniki auf.

Wer dämpft den Geist heute in der Kirche?
Wer ist daran schuld, dass die Kirche für viele Menschen nicht anziehend ist?
Warum gilt die Kirche - ob evangelisch oder katholisch - bei vielen Menschen als überholte, anachronistische Institution, zu der sie kein Verhältnis haben?

Ich will nicht nur auf die schauen, die zur Kirche in Distanz oder offener Ablehnung stehen.
Es gibt nicht wenige Christen, die durchaus zur Kirche stehen.
Aber sie haben Schwierigkeiten mit der nüchternen Predigt, sie lehnen die Kindertaufe und das Abendmahl ab, wie sie in unseren Gottesdiensten gefeiert werden.

Das alles ist für sie nicht lebendig, hat keine Atmosphäre.
Die feste Form des Gottesdienstes, die nüchterne Predigt können sie nicht als Geschehen und Wirken des Heiligen Geistes anerkennen.
Sie sagen:
"Da passiert nichts mit mir, da wird in mir kein Feuer angesteckt. Ich bleibe starr und steif, es bewegt sich gar nichts."

Menschen, die das sagen, begrenzen das Wirken des Geistes gerne auf die eigene subjektive Erfahrung.
Sie ziehen das Wirken des Geistes ausschließlich in den Bereich des eigenen Ergriffenseins.
Heiliger Geist, das ist für sie ausschließlich das, was ihnen persönlich widerfährt, was sie wahrnehmen, wovon sie sagen können:
"Ich hab's erlebt, ich hab's gespürt."
Sie halten sich für berechtigt, genau sagen zu können, ob Gottes Geist bei Ihnen gewirkt hat.

Aber über das, was die Kirche ist, scheinen sie sich keine Gedanken machen zu können. Von Kirche reden sie nur als verstaubter, lebloser Institution.

Das Wirken des Geistes ist für sie anscheinend ausschließlich das persönliche Ergriffensein vieler Einzelner und nicht die Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, die Gemeinschaft der vielen, die sich zu Jesus Christus bekennen und deren Leben von ihm bestimmt wird.
Über diese Gemeinschaft will ich heute an Pfingsten nachdenken und sie in den Blick nehmen.

2)
"Den Geist dämpft nicht."
Damit sind wir gemeint. Ich höre die Stimmen, die diese Aufforderung ernst nehmen. Ich höre die Stimmen, die deutliche Schwierigkeiten haben, in unserer Kirche, in unseren Gottesdiensten, in der Predigt, in der Taufe, im Abendmahl den Geist Gottes wirken zu sehen.
"Starr, steif, unpersönlich" - so lautet so mancher Kommentar über die Erlebnisse und Erfahrungen mit unseren Gottesdiensten. "Im Gottesdienst ist zu wenig los" - so kann man hören. Einiges wird vermisst und oftmals schauen manche Mitchristen nach der Lebendigkeit, dem Ergriffensein und dem Enthusiasmus, die sie bei Zusammenkünften anderer christlicher Gemeinschaften erleben, wo Gott mit begeisterten und verzückten Gebärden und Gesängen angerufen wird. Dort - sagen sie - dort erlebt man den Geist des Herrn.

Wer ist dieser Geist des Herrn?

Paulus erzählt von ihm:
"Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes."

Der Geist macht uns frei; frei auch dazu, müde zu sein und unenthusiastisch; frei, nüchtern zu sein und temperamentvoll; frei, zu sein wie wir sind, wenn wir es nur in Christus sind.
Der Geist macht uns nicht tot, sondern lebendig. Der Geist schließt uns zusammen mit Christus. In Christus werden wir frei von den Kräften in uns, die uns immer wieder von ihm wegziehen. Der Geist befreit uns zum Gehorsam gegenüber Jesus Christus. Der Geist bringt uns auf einen Weg, auf dem wir nicht zu Knechten und Untertanen, sondern zu Befreiten werden.
Der Geist gibt uns auch die Freiheit dazu, nicht dauernd unter der Spannung zu stehen, etwas erleben zu müssen.
Der Geist gibt mir die Freiheit, nicht dauernd unter der Erwartung der Gemeinde zu stehen, ihr ständig etwas bieten zu müssen.
Der Geist macht mich frei, meine Gaben einzusetzen, sie weiterzugeben, aus freien Stücken, nicht gezwungenermaßen.

"Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt."

Als Christen haben wir keinen andern Platz als den unter unserm Herrn. Das wird uns gezeigt und gesagt, wenn wir beim Abendmahl um den Altar stehen, wenn wir unter der Gestalt von Brot und Wein schmecken und sehen, dass Jesus Christus bei uns ist. So schafft sich Gott Platz bei uns.
So kommt er zu uns, nicht wir zu ihm.

"Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein."

Am Geist entscheidet sich, ob wir zu Christus gehören. Wir können nicht zu ihm gehören, ohne dass er der Herr unseres ganzen Lebens ist. Weil das so ist, können wir rufen: "Herr, erbarme dich."
Wir gehören zum Herrn, wenn wir singen: "Ehre sei Gott in der Höhe..."
Wir gehören zum Herrn, wenn wir in der Gemeinschaft der Kirche unseren christlichen Glauben bekennen und für diese Welt Fürbitte tun.

"Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen."

Als Christen können wir uns glücklich schätzen. Durch seinen Geist wird Christus in uns mächtig und wir können sagen: "Wohl mir, dass ich Jesum habe."
Wir sind aber keine glücklich Besitzenden, die Anlass hätten, sich vor andern aufzuspielen. Wenn ich Jesus habe, dann habe ich ganz schön mit mir und mit meinen Mitmenschen zu tun. Da bleibt keine Zeit, mich aufzuspielen. Da muss alle Zeit genützt werden für das, was Gott von mir fordert.
Wir sind auf den Weg der Gerechtigkeit gewiesen,
nicht auf irgendeine Prachtstrasse voller Ideale, guter und selbstbewusster Vorhaben,
sondern auf den Weg des Gehorsams gegenüber Gott, der unser Leben und nicht unsern Tod möchte.

"Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt."

Gott will sein Angebot, die Menschen zu retten, nicht auf einen kleinen Kreis Auserwählter und vom Geist Ergriffener begrenzen. Gott will die ganze Welt retten durch seinen Geist. Und dieser Geist wird nicht nur in spektakulären Ereignissen sichtbar, sondern in ganz einfachen Begabungen, die man in jeder Gemeinde antreffen kann, die in jeder Gemeinde zum Aufbau des Reiches Gottes dienen können.
Damit wir nicht hochmütig werden, wirkt der Heilige Geist oft lieber im Verborgenen.

3)
"Den Geist dämpft nicht."
Heißt das:
Weg von der 'starren Form', hin zum Gefühl?
Ich verstehe Paulus anders. Um all das, was wir von ihm über den Heiligen Geist gehört haben, geht es hier im Gottesdienst.
Es geht nicht um ein selbstbewusstes und stolzes Wahrnehmen unseres persönlichen Ergriffensein.
Es geht nicht darum, dass wir uns voreinander behaupten und unser Christsein vor dem Christsein anderer herausstellen.
Es geht darum, dass wir Gottes Eingreifen in unserem Leben als Kirche, als Gemeinde immer wieder neu durchleben.

Im christlichen Gottesdienst geht es nicht um Massensuggestion. Es geht auch nicht um die blendende Rhetorik begabter Kanzelredner oder um die Kreativität so mancher Gottesdienstgestaltung.
Bei der Wirksamkeit des Heiligen Geistes geht es um Bescheidenheit, um Selbstbescheidung, um Unterordnung unter das eine Evangelium, das durch die Jahrhunderte, durch Zeit und Raum, das eine Evangelium der Kirche Jesu Christi geblieben ist, das Evangelium für die Müden, die Fleißigen, die Stillen, die Enthusiastischen und die vielen andern. Der Heilige Geist ermöglicht uns die Freiheit, uns so oder so ergreifen zu lassen.
Dem Wirken des Geistes kommen wir näher, wenn wir uns wieder von neuem bewusst machen,
was in der Taufe mit uns geschehen ist,
was uns in der Heiligen Schrift gesagt ist,
was im Abendmahl mit uns geschieht.
Nicht unsere persönliche Erfahrung ist die Hauptsache, wenn Gottes Geist in uns wohnt. Nicht unser Ergriffensein und das, was wir dazu beisteuern, bildet den Kern des Geschehens, das an Pfingsten ausgelöst wurde.
Um Gottes Eingreifen in unser Leben geht es, darum dass er uns in Besitz nimmt.

Sind das ausreichende Antworten auf die Fragen, die ich zu Beginn gestellt habe.
Ich habe gefragt:
"Wer ist daran schuld, dass die Kirche für viele Menschen nicht anziehend ist?
Warum gilt die Kirche - ob evangelisch oder katholisch - bei vielen Menschen als überholte, anachronistische Institution, zu der sie kein Verhältnis haben?"

Genügt dazu der Hinweis:
Es geht nicht um unser Ergriffensein und das, was wir dazu beisteuern, sondern um Gottes Eingreifen in unser Leben, darum dass er uns in Besitz nimmt.

Die Skepsis gegenüber solchen Antworten ist mir geläufig. Sie äußert sich in den schon wiederholt vorgebrachten Einwänden:
Die Kirche ist nicht lebendig genug.
Ihre Botschaft ist vielfach veraltet und überholt.
Etwas Neues ist nötig.

Die Grundfrage ist:
Muss das Christentum modernisiert bzw. weiterentwickelt werden, um heute noch Anklang zu finden?
Oder:
Müssen die Grundlagen des Christentums engagierter und klarer verdeutlicht werden, damit die Menschen unserer Zeit genauer wissen, wofür oder wogegen sie sich entscheiden können?

Ich trete für das zuletzt Angesprochene ein.
Ich bin nachhaltig dafür, dass wir die Fundamente des christlichen Glaubens, so wie er uns überliefert ist, nicht preisgeben an Vorbehalte, die durch unsre Zeit und ihre Bedingungen bestimmt sind.

Ich möchte ringen um die Basis, von der sich der christliche Glaube herleitet.
In der Süddeutschen Zeitung waren zwei Artikel eines katholischen Theologen zu lesen, die sich unter anderem mit diesem Gedanken ganz engagiert beschäftigen.
In einem Artikel heißt es: „Die Kirche war weise, als sie die Fassungslosigkeit des Geistes in der Bescheidenheitsformel ausdrückte, dass man ihn bitten muss – und das nicht nur zu Pfingsten.“

Um den Geist bitten, das möchte ich mit Ihnen in diesem Gottesdienst tun und so etwas von dem spüren, was Paulus geschrieben hat:
"Der Geist ist das Leben."
Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher als unsre Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen