Predigttext:      Apostelgeschichte 3,1-10
Textfassung:    „Gute Nachricht“

 
 

Ein Gelähmter wird geheilt

3 1 Einmal gingen Petrus und Johannes in den Tempel. Es war drei Uhr, die Zeit für das Nachmittagsgebet. 2 Am Schönen Tor des Tempelvorhofs saß ein Mann, der von Geburt an gelähmt war. Jeden Tag ließ er sich dorthin tragen und bettelte die Leute an, die in den Tempel gingen. 3 Als er Petrus und Johannes sah, wie sie gerade durch das Tor gehen wollten, bat er sie um eine Gabe. 4 Die beiden blickten ihn fest an, und Petrus sagte: »Sieh uns an!« 5 Der Gelähmte tat es und erwartete, dass sie ihm etwas geben würden. 6 Aber Petrus sagte: »Gold und Silber habe ich nicht; doch was ich habe, will ich dir geben. Im Namen von Jesus Christus aus Nazaret: Steh auf und geh umher!« 7 Und er fasste den Gelähmten bei der rechten Hand und half ihm auf. Im gleichen Augenblick erstarkten seine Füße und Knöchel; 8 mit einem Sprung war er auf den Beinen und ging umher. Er folgte Petrus und Johannes in den Vorhof des Tempels, lief umher, sprang vor Freude und dankte Gott mit lauter Stimme.
9 Das ganze Volk dort sah, wie er umherging und Gott dankte.10 Sie erkannten in ihm den Bettler, der sonst immer am Schönen Tor gesessen hatte. Und sie staunten und waren ganz außer sich über das, was mit ihm geschehen war.

 Jesus setzt Menschen in Bewegung!

Liebe Gemeinde!

„So geh hin und tu desgleichen!“ So klingt es uns noch im Ohr vom Evangelium des Sonntags über den barmherzigen Samariter.
„So geh hin und tu desgleichen!“ – Petrus und Johannes tun dies!

In unserem Predigttext hören wir von einem Mann, der lahm von Mutterleib an war.
„Lahm von Mutterleib“  --- was für ein Schicksal verbirgt sich wohl in diesen drei Worten? Schon als Baby kann dieser Mensch nicht strampeln und seine kleine Welt krabbelnd erkunden: Er liegt fest!   Und während später die anderen Kinder  spielen,  springen,  herum toben,  schaut er von außen sehnsüchtig zu. Überall ist er ausgeschlossen!
Jetzt als Erwachsener kann er keinen Schritt allein tun – immer ist er auf die Hilfe anderer angewiesen,  ihrem Wohlwollen ausgeliefert.

Dazu kommen die materiellen Probleme. (Damals gab es ja noch keine Kranken- oder Pflegeversicherung!). Der Mann ist – im wahrsten Sinn des Wortes – bettelarm.
 
Genau genommen ist es ein doppeltes Leiden: Der Mann leidet erstens an seiner Behinderung und den damit gegebenen Einschränkungen. Zweitens leidet er aber auch an seiner Umwelt, an der Gesellschaft. –
Und das ist bis heute so geblieben! Die Spaltung der Gesellschaft in Gesunde und Behinderte ist zwar gemildert, aber nicht überwunden:
 
Zwei Beispiele: 
In meiner Zeit als Dekanatsjugendpfarrer unternahm eine Jugendgruppe ein Experiment in Passau: Ein (gesunder) Jugendlicher im Rollstuhl wird von einem anderen Jugendlichen gefahren. Sie fahren zum Einkauf in ein Schuhgeschäft. Der Jugendliche im Rollstuhl sagt, er wolle ein Paar Schuhe kaufen. Doch was passiert: Der „Behinderte“ im Rollstuhl wird kaum beachtet; die Verkäuferinnen und Verkäufer verhandeln und beraten nur mit dem Begleiter – nicht mit dem, der im Rollstuhl sitzt. – Ähnliches passiert genauso in einem Bekleidungshaus, ebenso in einer Buchhandlung  und in anderen Geschäften: Ein (vermeintlich) körperlich Behinderter wird von seiner Umwelt behandelt wie ein geistig Behinderter!

Ein zweites Beispiel war in der Passauer Neuen Presse vom 1. September 2009 als Überschrift zu lesen: „Behinderter im Luxushotel - ist das zumutbar?“ Ein pflegebedürftiger Mann,  der einen Kleinhirninfarkt erlitten hatte, saß gelähmt im Rollstuhl. Er wurde aufgefordert, die Sauna nicht mehr zu besuchen; denn dies sei ein „unangenehmer Anblick für andere Gäste“ – Welch eine Demütigung für den Patienten und für seine Lebensgefährtin und Pflegerin!

Auch hier in unserem Predigttext ist dieser krasse  Gegensatz spürbar: Der „gelähmte Bettler“ am „Schönen Tor“ – Welch ein Gegensatz: Am „Schönen Tor“ an der inneren Tempelmauer waren die Torflügel mit kostbarer Bronze beschlagen. Es war das Ost-Tor, also das Haupttor des inneren Heiligtums. Das war der Inbegriff von Kultur. Ein Inbegriff von Ästhetik und religiöser Repräsentanz. Das symbolisierte den Menschen: „Gott ist gegenwärtig! Hier! Die Herrlichkeit Gottes ist hier!“ –
Und daneben:  ein Häuflein Elend!          

Jetzt zum Nachmittagsgebet ist mit vielen Besuchern zu rechnen. Es war die neunte Stunde, also drei Uhr Nachmittag.  Zu dieser Gebetsstunde wird von den Menschen ihr zweites tägliches Opfer zum Altar gebracht. Ort und Zeitpunkt sind vom Gelähmten klug gewählt!

Auch Petrus und Johannes gehen zur Gebetsstunde in das Heiligtum. Sie gehen zu zweit; denn zwei mit einstimmigem Wort unterstützen sich gegenseitig. So wie Jesus es aufgetragen hatte bei der Aussendung der Zwölf: „Und Jesus rief die Zwölf zu sich und fing an, sie auszusenden, je zwei und zwei, und gab ihnen Macht über die unreinen Geister.“ (Markus 6,7).

Wie reagieren die beiden Apostel? – Bleiben sie stehen – oder gehen sie weiter?
Geben sie dem Bettler etwas – oder tun sie so, als hätten sie gerade kein Geld dabei?
U n d    w i r  – ?  Wie reagieren wir? Geben wir einem Bettler etwas in den Hut – oder gehen wir auf die andere Straßenseite?

Wenn die beiden Apostel damals einfach weitergegangen wären – wäre es nicht gut gewesen; denn dann bliebe eine Spaltung zwischen „Religion“ und „Welt“ bestehen. Gott bliebe im Tempel quasi „eingesperrt“. Der Gegensatz wäre manifestiert worden: Innen im Tempel wird die heilvolle Gegenwart Gottes gefeiert. Und außen bleibt die Welt ohne Gott sich selbst überlassen.

Doch Petrus macht es anders als alle anderen. Er bleibt vor dem Bettler stehen und nimmt Blickkontakt auf. Es ist ja ein Unterschied, wenn wir mit jemandem sprechen, ob er uns anschaut, oder ob er an uns vorbeischaut. Unsere Zeit ist geübt im Wegsehen:
Im Vorübergehen fragt mein Nachbar, wie es geht. Er fragt nicht, weil er es wissen will. Er fragt, weil er weitergehen will: „Hallooh, wie geht’s?“ Ich antworte, es geht: „Geht scho’!“ – In Wirklichkeit geht es mir im Augenblick nicht gut. Aber das will der Nachbar eigentlich gar nicht wissen! –  Wir sind geübt im Wegsehen!                                                                              

Ganz anders Petrus und Johannes: „Die beiden blickten ihn fest an.“ Das Wort, das im griechischen Urtext des Neuen Testaments steht, avteni,zw, heißt: „genau hinsehen“, „aufmerksam und gespannt hinblicken“.
Wir dagegen leben in einer Welt, die das Wegsehen perfekt eingeübt hat: Wegsehen und Vorbeigehen, damit man in Nichts hineinkommt! –

Den Bettler kennt jeder. Er ist stadtbekannt. Vielleicht passiert es ihm hier zum ersten Mal in seinem Leben, dass ihn zwei Menschen nicht übersehen, sondern wirklich sehen.
Petrus und Johannes sehen den Bettler an und reden ihn an:
Was sie nicht haben, sagen sie zuerst: „Silber und Gold habe ich nicht.“ Warum? – Petrus deutet damit an, welchen Wert dieser Mensch für ihn hat: Nicht nur ein paar Cent, nein, Silber und Gold bräuchten sie, damit dieser Mensch nicht mehr betteln muss. 
„Was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!“ – Und das Wunder geschieht: Die bisher kraftlosen Füße können ihn tragen.  Er kann gehen, laufen und springen: „Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher.“

Und schließlich passiert noch ein weiteres Wunder: Der Bettler wird zum Beter  – er läuft umher und lobt Gott im Tempel: „und dankte Gott mit lauter Stimme.“
Dieser Mann entdeckt hinter dem Geschenk „Gesundheit“ den Geber, der die Gesundheit schenkt: Gott, Jesus Christus.

Dass Jesus Menschen in Bewegung setzt, hat Evamaria Bohle so ausgedrückt:
 „Ein Mann hüpft durch den Tempel, ruft, singt, benimmt sich vollkommen unangemessen. Und das in der Halle Salomos! Die Andacht gerät aus den Fugen, Leute laufen zusammen, was für eine Unordnung.
Assoziationen drängen sich auf: Ein katholischer Priester, der Protestanten zur Kommunion einlädt. – Wenn das alle machen würden?
Wer neue Ideen hat, bringt Ordnungen durcheinander: Menschen hüpfen im Heiligtum, rühren an Tabus und beunruhigen die Mächtigen und schon wird man aus dem Tempel verjagt und findet sich hinter Gittern wieder. Heute wie einst haben etablierte Autoritäten wirksame Maßnahmen, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Doch das eindrucksvolle Bild eines hüpfenden Menschen im Tempel ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Gott Lob.“           

Liebe Gemeinde!  Jesus setzt uns in Bewegung!  Lasst uns hinausgehen in die neue Woche  in Dankbarkeit  und mit neuen Ideen,  um anderen zu helfen,  wie es Jesus tat und die Apostel.   Amen.